Männer brauchen Grenzen

Der nicht gestört werden wollende Mann

von Tina Teubner

© Tina Teubner
Der nicht gestört werden wollende Mann
 
Jeder weiß, daß ein Mann nicht zwei Dinge gleichzeitig tun kann. Schon das Führen eines durchschnittlichen Telefongesprächs bei gleichzeitigem bloßem Rumstehen überfordert die meisten Männer derart, daß sie regelmäßig einen lassen müssen. Das ist, wie gesagt, allgemein bekannt und bedarf keiner weiteren Erörterung. Es gibt aber merkwürdigerweise eine Disziplin, in der Männer wahrhafte Meister der Gleichzeitigkeit sind: das Aushalten von Widersprüchen. Beispiel: Das Nichtgestörtwerdenwollen.
Wenn wir dem Mann nahe kommen, fühlt er sich bedrängt; wenn wir ihm nicht nahe kommen, fühlt er sich nicht geliebt. Was die kluge Frau sofort als unauflösbaren Widerspruch erkennt, gehört für den Mann so selbstverständlich zusammen wie Schnaps und Bier, Samstag und Fußball, Hering und Tomatensoße.
Wie ist das möglich? Wieso schafft der Mann sich eine Familie an, wenn er doch so gerne seine Ruhe hat? Hier die abenteuerliche Erklärung meines Mannes. Lesen Sie und staunen Sie: „Nicht gestört zu werden ist ja nur dann schön, wenn jemand da ist, der einen stören könnte.“
Ich muß also da sein, damit ich nicht reinkommen darf? „Genau“, sagt er, „ich komm ja auch nicht raus.“ Ich muß da sein, damit mein Nichtreinkommen ein aktiver Akt der Respektbezeugung vor seinem Nichtrauskommen ist? Ich muß hinter der Tür warten, mit all meiner überquellenden Liebe, und auf seine unterquellende Trockenliebe hoffen, seine prinzipielle?
Hören Sie auf zu lachen, das ist nicht lustig. Ich beantrage hiermit, daß sich nicht immer alles verändert. Ich fordere hiermit, daß nicht immer alles sachlich und nüchtern wird. Da muß ich doch nicht für heiraten. Da kann ich mich auch mit einem Staubsauger vermählen. Ich beschließe rücksichtsvoll, daß ab heute alles so bleibt, wie es angefangen hat. Überwältigend nämlich!
Warum ist es denn verdammt noch mal so schwer, den Zauber des Anfangs zu wahren? Was hat nicht alles beseelt angefangen! Die erste Wohnung. Ein 50er-Jahre-Schuhkarton. Aber meine! Also ein Palast! Der erste Job! Mein erster Auftritt! Was hatte ich für ein hinreißendes Publikum! Wie sehr haben mich Landschaften geprägt! Das erste Mal das Meer sehen: Das war ein Erdrutsch! Natürlich ist das Meer immer noch toll. Aber es ist halt auch sehr viel Wasser. Das erste Mal die Berge. Das Alpenglühen. Das erste Mal Paris! Venedig! Würselen!
Der erste Fellini-Film. Das erste Mal Pina Bausch. Überwältigt war ich. Sigi Zimmerschied. Gidon Kremer. Nessi Tausendschön. Thomas Bernhard.
Ich stand nachts kerzengerade im Bett. Natürlich sind die alle immer noch toll, aber irgendwie anders. Irgendwie weitwecker.
Wie sehr liebt man sein Kind in den ersten Sekunden! Nie, habe ich gedacht, niemals im Leben wird mir dieser kleine Mensch fremd sein, niemals werde ich ihn anschreien, genervt sein gar. Selbst von meinem Mann habe ich mit Sicherheit gedacht, daß er mich nicht nerven wird. Ich hatte Humor Das war doch auch real. Ich war doch nicht bekifft. Das muß doch noch da sein. Man verläßt doch eine Zeit nicht, indem man in eine neue tritt. Und wenn es jetzt wirklich stimmt, daß beides stimmt: das Schöne und das - sagen wir mal vorsichtig - das nicht ganz so Schöne (wobei man Letzterem sehr oft den Vortritt überläßt), dann könnte man doch auch einfach mal die Uhren auf Anfang stellen. Auf Glück sozusagen.
Und wenn man nicht ganz so glücklich ist, dann tut man wenigstens so. Schlechter wird es bestimmt nicht - sofern Sie zu denen gehören, deren Liebe nicht von der ersten Sekunde an dazu verdammt war, in eine Sackgasse zu münden. Ich spreche in Rätseln? Folgendes Fallbeispiel hilft beim Verständnis.
 
EIN FALLBEISPIEL: OLGA UND HOLGER
oder ZWEI LEBEN IN DER SACKGASSE
 
Der liebe Gott hat gut reden: Der sitzt im Himmel und darf sich das ganze Spektakel von oben angucken. Wenn ich mich von oben ansehen würde, müßte ich wahrscheinlich auch nicht so viel Unsinn anstellen. Da wäre ich auch weitsichtig und weise.
Ich stelle mir das ziemlich lustig vor: Sieben Milliarden Menschen wuseln durcheinander, und plötzlich lösen sich völlig unvermittelt zwei aus der Menge. Zwei, die wirklich gar nichts miteinander am Hut haben. Zwei, denen man schon von weitem ansieht, daß der Tag kommen wird, an dem sie sich die Birne einschlagen und sich nicht mehr die Butter aufs Brot gönnen, laufen aufeinander zu und machen: Küss-küss-küss-küss! Nennen wir sie Olga und Holger.
Jetzt kommt die Zeit, in der Olga und Holger durch die Gegend rennen und unerträglich werden. Unentwegt gucken sie bedeutungsschwanger rum, als erlebten sie gerade etwas sensationell wesentliches. Etwas, was die Menschheit wirklich weiterbringt. Dabei kann der liebe Gott wahrscheinlich schon lange von oben sehen, daß sie nur die Paartherapeuten weiterbringen werden. Und das auch nur finanziell. Und die Scheidungsanwälte. Aber ich greife vor.
Erst einmal küssen sie den ganzen Tag. Sagen immer das Gleiche. Als hätte ihnen Hera Lind die Dialoge geschrieben: „Der Holger/die Olga ist einfach unheimlich süß“. Süß. Was für ein Segen, daß die Geschmäcker verschieden sind. Holger/ Olga ist nicht süß. Auch nicht sauer. Holger/ Olga ist doof. Würden sie sonst einen derartig geballten Unsinn reden? „Ich kann noch nicht sagen, wo das hingeht, aber es fühlt sich unheimlich leicht an. Ich bin einfach ich. Ich muß mich nicht mehr verstellen.“ Schade eigentlich.
Irgendwann geht es irgendwohin. Nach Mönchengladbach zum Beispiel, in eine Zweizimmerwohnung. Selbst zu diesem Zeitpunkt verkünden Holger/ Olga dieses durch und durch gewöhnliche Ereignis als Sensation. Noch. Einmal in Mönchengladbach angekommen, ist dann aber auch ziemlich schnell Schluß mit Verstellen. Da sind Holger/ Olga ganz schnell sie selbst. Folglich ist auch Schluß mit guter Laune. Schluß mit dem grenzdebilen Lächeln vor Bewunderung, weil Holger/ Olga es geschafft hat, eine Tütensuppe aus ihrer Verpackung zu befreien. Oder einen Liter Wasser bis zum Siedepunkt zu erhitzen, ohne daß es anbrennt. Oder sich Kose-Schnurzel-Hase-Schatz-Namen um die Ohren zu hauen.
Hätten Holger/ Olga Humor, hätten Sie sich längst durch dieses Buch gequält und lustvoll an sich gearbeitet. Dann wären sie fröhlich, und alles wäre gut. Holger/ Olga haben aber keinen Humor. Deshalb ist atmofinster in Mönchengladbach. Oder in Olpe. Egal. Holger/Olgas haben das Zeug zur flächendeckenden Ausbreitung. Es haben sich sogar schon Holger/ Olgas nach Berlin Kreuzberg verirrt. Nach Köln-Nippes, Oldenburg oder Stuckenborstel. Egal Wo sie sind: Ab jetzt wird gemeckert, gezickt, gegeizt, genervt, beschuldigt.
 
WAS TUN?
 
So Sie Holger/ Olga kennen, schenken Sie ihnen dringend dieses Buch und vergessen Sie nicht, keine Grüße von mir auszurichten.
So Sie sie nicht kennen, tun Sie alles dafür, sie niemals kennenzulernen.
 
 

© Tina Teubner
Weitere Informationen: www.lappan.de
Redaktion: Frank Becker