Kommen Sie mit?
Oder soll ich mitkommen? Werner Finck - Alter Narr was nun?
Kabarett-Klassiker mit dem Meister der Halbsätze
„Frech, dummdreist, arrogant und taktlos“
(NS-Propagandaminister Joseph Goebbels über Werner Finck)
„Das christliche Bayern kann nur empört sein“ (Stellungnahme der CSU zu einer Rundfunksendung mit Werner Finck, 1950)
Bevor Ensembles wie „Die Stachelschweine“ (Berlin), die „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“ und das Düsseldorfer „Kom(m)ödchen“ in den 1960ern die damals noch nicht allgegenwärtigen Fernsehschirme eroberten und mit Ihren Programmen die Wohnzimmer und die Herzen ihrer Zuschauer okkupierten, war einer kabarettistisch unterwegs, der bereits in den 30er Jahren in Berlin das Kabarett in Form seiner politisch scharfen „Katakombe“ zu so schillernder Blüte gebracht hatte, daß er den Zorn der Mächtigen auf sich zog. Werner Finck (1902-1978), einer der scharfsinnigsten Beobachter seiner Zeit, begnadeter Stammler und Meister der Abschweifungen, halber Sätze und ganzer Wahrheiten, brillierte nach 1945 wieder, zwar nicht mehr von KZ-Haft und Berufsverbot bedroht, doch auch jetzt den Mächtigen ein Splitter im Auge (wohl auch im Allerwertesten) und gelegentlich der Zensur ausgeliefert – die natürlich nicht mehr Zensur hieß. Seine Solo-Programme polarisierten, spalteten das Publikum, trennten die ewig gestrige Spreu vom Weizen der jungen Demokratie. Wenn Finck sprach empörten sich wieder die, die sich schon 1935 empört hatten. Ein Katalysator.
Die rührige Kölner Produktion Tacker Film veröffentlicht nun auf einer DVD erstmals zwei Fernsehauftritte Werner Fincks – „Am besten nichts Neues“ (ORF 1967, 53 Minuten) und die Lesung aus seiner Autobiographie „Alter Narr, was nun?“ (WDR 1973, 45 Minuten) - sowie ein 1965 beim WDR aufgezeichnetes Interview von 25 Minuten. Das sind kabarettistische Perlen, für lange Zeit unzugänglich gewesen, durch den Einsatz des Produzenten der Tacker Film, Wolfgang Dresler, jetzt endlich zu haben. Der Auftritt Fincks im ORF-Studio 1967 war ein Novum: nicht von einer Bühne agierte Finck, sondern schlenderte zwischen den im als Café gestalteten Studio aufgebauten Tischen, zwangsläufig auch mal mit dem Rücken zu einigen Gästen und erzählte aus seinem Leben. Im Publikum übrigens u.a.zu erkennen der Kabarettist und Schauspieler Felix Dvorak, der Schauspieler Peter Matić, der Kabarettist Kurt Sowinetz und die Kabarettistin und Chansonette Cissy Kraner, alle schon damals Hochkaräter ihrer Zunft.
Inhaltlich recht ähnlich, wenn auch schon schmerzhaft deutlich sein Alter und die geschwächte Gesundheit spürbar sind, erzählt Werner Finck sein Leben in der 1973er Studio-Lesung beim WDR. Noch ist sein alter Witz zwar spürbar, doch wirkt er angegriffen, scheint sein Humor professionell, der Auftritt beinahe ein wenig lästig. Dieser Film macht Finck-Kenner und –Freunde eher ein wenig traurig. Ganz anders das frische, heitere Interview aus dem Jahr 1965, das einen sanften, freundlichen Philanthropen in seinem Heim zeigt.
Als Zugabe finden sich ein knapp dreiminütiger Sketch aus der Sendereihe „Witzakademie“, der auf die „Katakombe“ 1935 zurückgeht, mit u.a. Kurt W. Schmidtchen sowie Werbefilme für Elfa-Sicherungen (1938), Phoenix-Gummiwerke (1950) und für Bols Liköre.
Aus dem Pressetext von Wolfgang Dresler: „Als Schüler war er immer der Schlechteste. Seine Zeugnisse enthalten „Tadel wegen albernen Betragens“, „Zerfahrenheit, Liederlichkeit und Unaufmerksamkeit“. Finck vermittelt im Interview der WDR-Reihe „Als sie noch jung waren“ einen Eindruck davon, welch bedrückende Stimmung damals an den Schulen herrscht. Widerspruchsgeist, Originalität und Kreativität gelten als Verstöße gegen die Schulordnung. Er nimmt Schauspielunterricht und bewirbt sich an Provinztheatern: Als er den Hamlet vorspricht, wird er sofort engagiert - als Komiker. Er tingelt einige Jahre von Theater zu Theater, doch je größer die Häuser werden, desto kleiner werden seine Rollen. Schließlich hat er „das ganze Theater satt“ und zieht nach Berlin: Dort gründet er mit anderen Schauspielern das Kabarett „Die Katakombe“ aus der zahlreiche erfolgreiche Schauspieler und Regisseure hervorgehen: Rudolf Platte, Theo Lingen, Rudolf Schündler, Hans Deppe, R.A. Stemmle u.v.a.. Nach der Machtübernahme der Nazis muss jederzeit damit gerechnet werden, dass „Die Katakombe“ verboten wird. „Gestern waren wir zu, heute sind wir offen, wenn wir heute zu offen sind, sind wir morgen wieder zu“, sagt Finck. Inzwischen hat er seine Technik perfektioniert, Kritik in Andeutungen und Zweideutigkeiten zu verpacken. Denn immer öfter sitzt die Gestapo in den Vorstellungen: „Mich rettete nur, dass die nicht zweideutig übersetzen konnten.“ Immer wenn besonders laut gelacht wird, vermuten die Politspitzel Verdächtiges und schreiben mit. Finck reagiert: „Spreche ich zu schnell? Kommen sie mit? Oder soll ich mitkommen?“ Nach dem Krieg gehören zu den Unterstützern Fincks Carlo Schmid und der spätere Bundespräsident Theodor Heuss. Werner Finck wird zum populärsten Kabarettisten und Zeitkritiker der Nachkriegszeit.“ Den vollständigen Text findet man im beigelegten Heft. Werner Finck – „Alter Narr, was nun?“
© 2014 TACKER FILM, die DVD enthält die ungekürzten Fernsehsendungen „Am besten nichts Neues“ (ORF 1967, 53 Minuten / das Programm wurde bereits 1957 geschrieben, Anm.) und „Alter Narr, was nun?“ (WDR, 1973, 45 Minuten) sowie ein Interview mit Werner Finck (WDR, 1965, 25 Minuten).
DVD mit Booklet, Gesamtlänge: 128 Minuten, Bildformat: 4:3 Weitere Informationen: www.tackerfilm.de
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