Camille Pissarro. Vom ländlichen Naturraum zur modernen Großstadt
Wer eine Ausstellung mit Werken des französischen Impressionismus zeigt, braucht sich um die Akzeptanz des breiten Publikums keine Sorgen zu machen. Dies zeigt einmal mehr die große Pissarro-Ausstellung im Wuppertaler Von der Heydt-Museum, die am 12. Oktober mit einem spektakulären Festakt in der Historischen Stadthalle in Anwesenheit von rund 1500 Gästen eröffnet (siehe Pissarro-Ausstellung glanzvoll eröffnet, Musenblätter 17.10.14) und inzwischen von mehr als 50.000 Besuchern gesehen wurde. Ergänzend zu dem Ausstellungsbericht Camille Pissarro - Der „Vater des Impressionismus“ (Musenblätter 11.10.14) soll im folgenden auf einen Teilaspekt der Wuppertaler Ausstellung aufmerksam gemacht werden, nämlich auf die Stadtbilder Pissarros, die der Direktor des Museums, Gerhard Finckh, am Ende des Rundgangs zeigt und die in besonderer Weise die Modernität des Künstlers dokumentieren.
Problematische Zuschreibung
Innerhalb der Impressionisten-Bewegung war Pissarro über Jahrzehnte eine maßgebliche Integrationsfigur. Die Tatsache, daß er der einzige war, der zwischen 1874 und 1886 an sämtlichen acht Gruppenausstellungen der Impressionisten teilgenommen hat, bezeugt sein hartnäckiges Festhalten an den Prinzipien dieser neuen künstlerischen Richtung. Das schloß nicht aus, daß er offen für
Die Wuppertaler Schau, die alle Phasen des Werkschaffens des Künstlers berücksichtigt, macht deutlich, daß er nicht das Temperament, die Spontaneität und die Kühnheit eines Monet hatte, sondern ruhiger, bedachter, auch prosaischer war als jener. Der Kunstkritiker Théodore Duret, Freund der Impressionisten, testierte Pissarro, seine Arbeiten zeigten zwar nicht das Gefühl für das Dekorative wie die Sisleys, auch habe er nicht „Monets phantastisches Auge“, dafür aber „ein inneres, tiefes Naturempfinden und eine Kraft des Pinselstrichs“, die es ihm erlauben würden, „ebenso hoch [zu] kommen wie jeder andere Meister.“
Exemplarische Landschaftsbilder
Daß er, anders als Manet oder Renoir, kein großer Figurenmaler war, wird in Wuppertal allzu offensichtlich, und seine Stilleben muten im Vergleich zu den streng gebauten, zukunftsweisenden Kompositionen eines Cézanne eher konventionell an. Als Landschafter sind ihm aber Werke gelungen, die in exemplarischer Weise belegen, was impressionistische Malerei ausmacht: das flirrende Spiel des Lichts, die Flüchtigkeit des Augenblicks, das Atmosphärische, die Vibration der Oberfläche, die Auflösung der Umrißlinie, der skizzenhafte Duktus, die Frische der Farben. „Schneelandschaft in Louveciennes“ von 1872 mit ihren farbigen Schatten ist eines jener zahlreichen fabelhaften Bilder der Wuppertaler Ausstellung, die als das Credo eines vollkommenen Impressionisten verstanden werden können.
In den meisten Fällen handelt es sich um Landschaften, die eine heitere, vom Menschen kultivierte Natur mit Häusern, Feldern und Gärten zeigen. Zuweilen sind auf den Straßen Passanten zu sehen, ab und zu taucht auf den Flüssen ein Lastkahn auf, manchmal in Gestalt eines Dampfschiffs, hin und wieder deutet ein rauchender Schonstein an, daß die Industrialisierung auch vor ländlichen Gebieten nicht Halt gemacht hat. Pissarro, Impressionist und Augenmensch par excellence, nimmt das wahr, registriert es, ohne es zu bewerten – weder zu beschönigen, gar zu heroisieren, noch zu leugnen oder anzuklagen.
Urbane Gegenwelten
Diese neutrale, ja distanzierte, zugleich aber an den Phänomen prinzipiell interessierte Haltung zeichnet auch die in Wuppertal breit
Das „Neue Paris“
Ist es hier die Realität eines im industriellen Aufschwung befindlichen Ortes, der sich der Maler zuwandte, so waren es in Paris neben der Seine mit ihren Brücken, dem Louvre und den Tuilerien die großen Boulevards und Plätze, die unter Kaiser Napoléon III. in den 1850er und 60er Jahren gemäß den Planungen des Stadtpräfekten Georges-Eugène Haussmann entstanden waren. Haussmann hatte das alte Paris einer radikalen Verjüngungskur unterzogen, indem er – die mittelalterliche Bausubstanz dabei zum Teil zerstörend – schnurgerade, breite Schneisen durch die Hauptstadt legen ließ. Sie sollten den Anforderungen des modernen Verkehrs gerecht werden und als monumentale Sichtachsen den Stadtraum übersichtlich gliedern. Vorgeschrieben war eine hinsichtlich
Neuartige Sichtweise
Typisch für dieses Gemälde wie für zahlreiche andere Pariser Straßen- und Platzansichten Pissarros sind der erhöhte Betrachterstandpunkt und die stürzenden Perspektiven. Der Künstler scheint gleichsam zu schweben – dies übrigens ein maßgebliches Indiz der Moderne – , und die künstlerische Bewältigung der Schwierigkeiten, die die aus der Vogelperspektive
Alle Fotos © Rainer K. Wick Pissarro – Der Vater des Impressionismus Noch bis 22. Februar 2015
Von der Heydt-Museum
Turmhof 8
D-42103 Wuppertal
Katalogbuch, 400 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Hardcover, 25,- €
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