Gruppophobie

von Tina Teubner

© Tina Teubner
Gruppophobie
 
Es gibt Menschen, die sich im Zustand höchster geistiger Verwirrung zu der ganz und gar absurden Behauptung versteigen, es sei gut, so aktiv wie möglich alt zu werden. Ein dummer Satz. Für wen soll das gut sein? Für die Alten, die sich wie einst Sisyphos mit unendlichen Wiederholungen ewig gleicher, dafür aber komplett sinnfreier Bewegungen abmühen (Aquajogging, Power-Yoga, Tai-Chi-Ping-Pong-Dong)? Oder für die anderen, die sich das ansehen müssen? Im Übrigen: Wie soll eigentlich die vielbeschworene Energiewende klappen, wenn sogar die Alten durch blödsinnigen Aktivismus die letzten Ressourcen vergeuden?
     Lassen Sie sich nichts einreden! Tun Sie das einzig Richtige: Seien Sie gänzlich inaktiv! Sitzen Sie mit Ihrer leichten, sympathischen, vorteilhaften Demenz in Ihrer Lieblingsecke. Genießen Sie endlich die Zeit, in der Ihre Knie Sie arthrosegerecht in die Sessel pferchen. Sie können sitzen und werden nicht mehr repräsentieren müssen. Sie HABEN geleistet!
Leider jedoch wird die Aktivitätslüge nicht mehr nur von verwirrten Einzeltätern verbreitet - nein: Es gibt inzwischen eine regelrechte Verblödungsindustrie, die uns weismacht, man könne (und solle) den an sich beglückenden Prozeß der zunehmenden Retardierung im Alter aufhalten. Eines ihrer schlimmsten und gefährlichsten Produkte: Studienreisen! In Gruppen!!
     Jeder kennt sie, doch keiner traut sich angesichts ihrer Übermacht, auch nur leise gegen sie aufzumucken: Jene flieder-ocker-beigen homogenen Breie aus Menschen, Anoraks und Kölnisch Wasser, die sich zementgleich über alle Raststätten der Welt ergießen und dort jegliches Vorankommen unmöglich machen. Und zwar immer, wirklich immer über jene Raststätten, die Sie gerade aufgesucht haben. Immer und mit größter Zuverlässigkeit ist genau dann, wenn Sie Ihrem Harndrang beim besten Willen nicht mehr standhalten können, wenige Zehntelsekunden vor Ihnen der Studienreisenmenschenbrei aus dem Reisebus geflossen, verstopft Sanifair und kriegt den Euro nicht in den Schlitz. Und damit die Studienreisenmenschen an der nächsten Raststätte wieder ordentlich pullern müssen, sind sie auch wieder gerade vor Ihnen an der Kaffeemaschine.
     Hier kann nur zum Protest aufgerufen werden: Genossinnen und Genossen, leistet Widerstand! Laßt Euch nicht verbiegen! Bleibt gruppophob! Hier erweisen sich die glücklichen Paare als eindeutige Gewinner: Stark genug, um Gruppen eins überzubraten - aber eben nicht allein. An dieser Stelle ein Hoch auf die Frauen, die ihre Männer mit liebevoller, strenger Hand in die Gefilde des Alters gelotst haben. Aber auch ein Hoch auf die Männer, die sich nach 30, 40, 50 Jahren in buddhistischer Erkenntnis der Weisheit ihrer Frau gefügt haben und jeden aufkeimenden Impuls zur Auflehnung zu ersticken trachten. Jene Paare eben, bei denen aus Liebe Freundschaft und aus Freundschaft wieder Liebe geworden ist.
 



© Tina Teubner

Weitere Informationen: www.lappan.