Niederrheinisch wohnen (1)

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz

Niederrheinisch wohnen (1)

Ich möchte jetzt einmal daß wir uns die typische
Inneneinrichtung eines typischen niederrheinischen
Herren- Eß- oder Wohnzimmers
Is da ja alles dasselbe unter uns gesagt
gemeinsam erarbeiten!
Wir stehen ja alle in einem Lernprozeß und öh
Ich fang mal an also:
Auf dem Fußboden ein nachgeäffter Perserteppich
Darauf auf dem Teppich eine Standuhr von 1926
Eine Kredenz `
Wenn ich all die Kredenzen die ich in meinem
Leben schon gesehen durchlebt und durchlitten
habe wenn ich die all runtergeschluckt hätte
dann hätte ich jetzt schon bestimmt diesen Bulbus
öh diesen Ulkus diesen Duodeni das is ja eigentlich
ein italienisches Adelsgeschlecht
Wir haben da wir auch gerade bei diesem Thema
sind wir haben zu Hause auch eine
Aggressionsnische
Also alles was hinfällig geworden is: Alte Tassen
Teller ohne Henkel Porzellan usw. nehmen wir so
sonntags um 15 Uhr und schmeißen die da mit
Wucht hinein damit wir unsere Aggressionen
loswerden damit wir dann um 17.15 oder 18.15 bei
der Westernserie das alles wieder voll auftanken können
Soll ich Ihnen nochmal die genauen Zeiten sagen
Ich seh mir sowas ja alles an
Wo waren wir stehn geblieben
Jaa un dann gabs ja dann noch einen Tisch früher
jedenfalls wissen Sie diese langen ausziehbaren
Tische wo man immer so fummeln mußte
Paß doch auf und so und immer waren zwei Finger weg
Un die wurden ja auch nur zweimal im Jahr vom
Speicher geworfen
Konfirmation und Goldene Hochzeit
Da kam ja dann die ganze Familie die Kinder
mußten unter den Tisch das war ja schon damals
das Generationsproblem
Und dann gabs noch en altes schwarzes Klavier
Da spielte kein Schwein drauf reines Dekorationsstück
und wenn ich mal drauf spielte dann hieß es
immer gleich
Spiel doch mal was Anständiges!
Nein wir müssen uns das wirklich mal vor Augen
halten: Es gibt immer noch Leute die sonst sehr
musikbegeistert und enthusiasmiert sind aber die
nach wie vor Musik immer noch einteilen in zwei
Gebiete
In anständige und unanständige Musik
Wenn das der alte Beethoven wüßte
Ja und an der Wand war dann noch ein Regulator
von 1929 und an der anderen Wandseite war dann
dieses Foto die Älteren werden sich erinnern dieses
blöde Foto
Hitler und Hindenburg in Potsdam wo der Anstreicher
grad seinen Diener macht und da wieder gegenüber
ein Waldmotiv in wuchtigem Rahmen also richtig
Wald wie aus dem Leben gegriffen
Ja und dann gabs dann noch auf der Kredenz diese
Glasschalen farbige Weingläser alle so lustig verziert
also echt Kristall Sammeltassen und dann Stühle
natürlich und Kissen selbstentworfene Kissen
»Hab ich selbst entworfen oder auch selbst gehäkelt«
Bis zur totalen Verkrampfung so kurz vor
Weihnachten oder auch bei anderen Feiertagen wo
dann die berühmten Sätze fallen wie
Ich muß noch son Stück
Un wo sich dann die ersten Fehler einschleichen
wo ich dann immer gesagt habe
Mach doch noch en paar dazu als Stilmittel
dann fallen die andern Fehler nicht so auf
Ja ich sach so schön gehäkelt wenn der Vorgarten
nicht anderweitig Arbeit gebot der kleine Vorgarten
mit 2 1/2 Hortensien der mußte ja jede Woche
gerodet werden
Auch ein Fliegenschrank war im Haus
Und wenn ich nicht gerade das is ja alles schon lange
her 42, 43 wenn ich nicht gerade mit dem Fahrrad
unterwegs war um bei den Bauern Butter Milch
Eier und Käse zu holen dann saß ich zwischen all
diesem soeben beschriebenen eisern gesparten
Gerümpel und sann
Ich saß und sann mach ich auch heute noch manchmal
Sitzen und Sinnen
Das könnte der Titel eines deutschen Lesebuchs sein

 


Lesen Sie am kommenden Samstag Teil 2

© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus „Das schwarze Schaf vom Niederrhein“
in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung