Hamburgs Unwahrzeichen

Norddeutsche Notizen

von Andreas Greve

Andreas Greve - Foto © Weychardt
Hamburgs Unwahrzeichen
eröffnet am 11. Januar 2017


Ortstermin im Großen Konzertsaal
der neuen ElbphilHARMONIE


Norddeutsche Notizen
von Andreas Greve

 
Hauptkonstruktionselement der Elbphilharmonie war bislang der Spannungsbogen, der sich aus der Frage speiste: Wie weit liegt das angestrebte Ziel einer Fertigstellung von der Baurealität entfernt? Ist überhaupt noch mit einer Fertigstellung zu rechnen? Vor einiger Zeit trug Hamburgs alternativer Meinungsträger Christoph Twickel eine dritte Variante in die Öffentlichkeit und zwar: Das Ding einfach halbfertig dort stehen lassen als Monument des Unvermögens und als Symbol für die unselige Neigung der Politik, zu glauben, daß jede Stadt so ein „Leuchtturm-Projekt“ brauche, um sich gegen andere Wahrzeichen oder besser Unwahrzeichen abzusetzen.

 
 Überragend - Foto ©  Andreas Greve
Meine Ansichten dazu sind gespalten. Als Hanseat und Medien-Hansel würde ich sogar der frisch ausgegebenen Parole des Bürgermeisters glauben: Der Prachtbau wird fertig! Punkt. Ganz nach Plan, völlig energisch, zielführend in einer konzertierten Aktion aller Beteiligten. Ein Olaf, ein Wort. Das ist doch mal eine Abwechslung, diese Zuversicht und HARMONIE!
Wenn schon alle – von Bauherr über Bauträger bis zu den Architekten gar – an einem Strang ziehen, spielt man doch gerne die mediale Begleitmusik dazu. Die „Süddeutsche“ mochte sich allerdings nur soweit aus dem Fenster lehnen, als sie diese Frohe Botschaft in drei Fragesätze verpackte - denn wie Kulturkorrespondent Till Briegleb schrieb: „Wie beim Berliner Flughafen besaßen auch bei der Hamburger Elbphilharmonie „definitive“ Zeitpläne irgendwann nur noch die Glaubwürdigkeit von nordkoreanischen Propagandameldungen.“ Und schloß seinen elegant-süffisanten und fast satirischen Artikel dann versöhnend: „Wenn es eine Gerechtigkeit in der Bauwelt gibt, dann erinnert man (sich) … irgendwann … nicht nur an das maskuline Gezerre, daß aus einer schönen Idee einen solch teuren Zankapfel macht.“ Denkbar.
Als Dichter hingegen ziehe ich natürlich derzeit mehr Honig aus großartigem Scheitern oder veritablem Versagen als aus kleinteiligem Abarbeiten von Ausschreibungspositionen.
Deshalb muß ich leider beide Haltungen durchspielen. 1. Sprachrohr des neuen Optimismus und Verkünder von Pressemitteilungen. 2. Lyriker, der aus dem Leid schöpft.

Geben wir der Politik den Vortritt: Plötzlich und unerwartet soll die Elbphilharmonie nun doch fertig werden. Das wurde am 12. Januar bei einer Pressekonferenz hoch über der Elbe im zukünftigen Konzertsaal, der mittlerweile nicht nur ein Dach, sondern sogar schon weitgehend eine Decke hat, vom Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt verkündet. Bei der Jahreszahl zögerte Olaf Scholz so furchterregend lange, daß ihm die Kultursenatorin Barbara Kisseler die Zahl „2017“ lieber halblaut zurief. Daß die Senatorin so fest an diesen Termin glaubt, bedeutet für mich, daß sie faktisch dafür einsteht. Und da sie oft erfreulich viel pragmatische Handlungskraft zeigt und – für politische Verhältnisse - erstaunlich wenig haltlose Versprechen macht, neige ich in der Tat dazu, ihr zu glauben, wenngleich jede Aussage in den Wochen bis zum 15. Februar natürlich auch im Lichte der anstehenden Bürgerschaftswahl zu betrachten ist.


Ortstermin


Die Presse-Kumpel fahren ein - Foto ©  Andreas Greve

Rund 100 Pressevertreter wollten per Lastenfahrstuhl nach oben geschafft werden. Der Konzertsaal ist noch rundherum eingerüstet, besitzt aber soviel sakrale Aura, daß man sich da und dort gut einen Michelangelo auf dem Rücken robbend vorstellen kann. Die Mitte des Raumes wölbt sich pfeilerfrei, leicht abgesenkt der tonnenschwere sogenannte Reflektor, bereits mit der „weißen Haut“ versehen, was rein technisch eine ausgeklügelte Oberfläche für die Akustik bedeutet, optisch aber an Pizzeria erinnert. Das wäre dann die teuerste Pizzeria aller Zeiten. Die „Hamburger Morgenpost“ titelte „Die 789-Millionen Tröte“. Wenn ich mich nicht irre, hat die Elbphilharmonie es mit dieser stolzen Summe auf Rang neun der teuersten Hochhäuser der Welt gebracht. Wohlgemerkt ummantelt und finanziell erträglich gemacht von einem Luxus-Hotel und Luxus-Eigentumswohnungen als inhouse-Lösung.
Das „Hamburger Abendblatt“ schrieb unter ein sehr hochformatiges Foto, das von der Saaldecke bis zum Boden reichte und auf dem in Eintracht Intendant, Architekt und Bauherren nebeneinander standen: „Vorfreude ist die schönste Freude“. Aber als besonderen Leserservice und echtes Schmankerl stellte die Metropol-Regionalzeitung ein 360-Grad-Panorama des Großen Saals online: Da wirkt mein Schnappschuß des Showdowns zwischen Macht, Machern und Medien – umgeben von Baugerüsten – ein wenig spröde. Schauen Sie: abendblatt.de/


Ein Hoch auf Hochtief - Foto ©  Andreas Greve
 
Das Konzerterlebnis soll extrem lauschig sein, weil das Publikum so dicht am Orchester und um das Orchester herum sitzt, daß es fast Angst haben muß, einen Geigenbogen ins Auge zu bekommen. Intimer soll es weltweit nirgends sein - und das trotz 2.100 Sitzplätzen.
Schon vor dem festlichen Eröffnungstermin soll die „Plaza“ in 40 Metern Höhe auf dem alten Kaispeicher fertig sein, sodaß auch kulturfernere Bürger sich dem Spaßvergnügen „Komm se rauf, könnse runtergucken“ hingeben können. Olaf Scholz nannte auch deshalb den gläsernen Luxusbau „demokratisch“. Für den Abendblattartikel zeichneten Jan Haarmeyer und Joachim Mischke, die jüngst einen Journalistenpreis bekamen für ein 16seitiges Elbphilharmonie-Dossier mit dem schönen Titel „Wunschkonzert – wie aus einer genialen Idee der größte Bauskandal in Hamburgs Historie wurde.“
Wird der Bau jemals fertig? Ich setze drei Flaschen „Helbing“, Hamburgs feiner Kümmel seit 1836, dagegen. Meine Gründe legte ich in einem gegen Ende 2014 verfaßten Gedicht nieder (das ich dem großen Humoristen F.W.Bernstein widmete, der in der Hauptstadt wohnt, und der mir daraufhin pointensicher zurückmailte: „Wenn ich mein Versepos über den BER-Flughafen jemals fertig habe, werd ichs Andreas Greve widmen"). Wohlan!

Elbphilharmo-NIE


Teelicht oder Protzkristall? Foto ©  Andreas Greve
(F. W. Bernstein gewidmet)
 
Über Hamburgs Hafenrand
spuckt ein Bauwerk große Töne
und ist jetzt schon so bekannt,
wie wenn´s dort seit jeher thröne.
 
Hier steht nicht der Petersdom
oder Straßburgs stolzes Münster
- überhaupt ist dies nicht Rom -
Vielmehr wächst auf allerdünnster
Basis
 
Teelicht? Oder Protzkristall?
Glas gebuchtet, Glas gefaltet,
wodurch es auf jeden Fall
Allgemeinheit schon mal spaltet.
 
Dichters Trost birgt sich im Wort:
Elb, FIEL, HARM, O! Ende: NIE!
Jedermann erkennt sofort:
Schon der Name trifft ins Knie.
 
Fugen-Dichter Greve 2014/15
www.andreasgreve.de
 
 
Redaktion: Frank Becker