Mit Rih zwischen den Schenkeln Durchgeritten. Alles von Karl May. Directors Cut
Ein fabelhafter Karl May-Abend mit Andreas Wellano
Man darf annehmen, daß kaum eines deutschen Verfassers Leben und Werk, seine Herkunft und sein Schicksal sowie seine nähere und weitere Umgebung umfassender mit Bilddokumenten belegt sind, als es bei dem Volksschriftsteller Karl May der Fall ist. Seine schon zu Lebzeiten ungeheure Popularität, seine Beliebtheit bei jugendlichen wie erwachsenen Lesern und nicht zuletzt sein eigenes äußerst wechselvolles Leben machen den Autor phantasievoller Abenteuer- und Reiseerzählungen auch als Person der Literatur- und Zeitgeschichte interessant. Es ist eine Menge über den meistverlegten deutschen Jugendschriftsteller gesagt und geschrieben worden. Im Verlaufe der vorbereitenden Lektüre über das Phänomen May wurden mir auch die Biographie von der Feder Christian Heermanns und die fünfbändige Karl-May-Chronik von Dieter Sudhoff und Hans-Dieter Steinmetz ans Herz gelegt – ich gebe diese Hinweise hier gerne weiter.
Einiges über den Volksschriftsteller mit vielen Gesichtern Da wäre zunächst die Biographie, die auch als die „offizielle Karl May-Biographie“ bezeichnet wird, ein in der Tat aus dem Rahmen der üblichen
Christian Heermann zeichnet die unrühmliche kleinkriminelle Karriere des Lehrers, Journalisten, Kolportageschriftstellers und Erfolgsautors, seine Erfolge und seine Niederlagen, seine Prozesse und Ehen sachlich, detailreich und sachkundig, doch auch ungemein unterhaltend auf. „...liest sich wie einer von Karl Mays besten Romanen“, heißt es im Presstext zum Buch. Stimmt. Heermann konnte auf Quellen, Dokumente und Fotografien zugreifen, die teils bisher noch nicht veröffentlicht wurden. Daher kann er von seinem Buch mit Fug behaupten, daß es die umfassendste Beleuchtung von Mays Leben ist. Jeder Karl May-Freund sollte es haben. Er war vieles: Kolportageschriftsteller, Redakteur, Seminarist, Hochstapler, Dieb, Fälscher, Plagiator, Häftling - und wohl der meistgelesene deutsche Autor von Abenteuer- und Reiseromanen, die nicht nur von der Jugend verschlungen wurden und noch immer werden.
Karl May wurde am 25.2.1842 als fünftes von vierzehn Kindern einer armen Leineweberfamilie geboren. Generationen hat er mit seinen Geschichten und Abenteuer-Romanen durch die Jahre der Kindheit und Jugend begleitet. Durch ihn haben wir haben den Wilden Westen, den Sudan, die Kordilleren und den Rio de la Plata kennengelernt. Nach Ostafrika und Serbien, nach Kurdistan und sogar China, ins Land der Skipetaren und nach Arabien, in französische Schlösser und zu russischen Kosaken hat er uns mitgenommen. Durch die Wüste und über Meere ging die Reise der Phantasie, bei der uns edle Rothäute, kernige Helden, finstere Schurken, mutige Reisende und kauzige Originale wie Hadschi Halef Omar, Sam Hawkens, Hobble-Frank oder Tante Droll begegneten. Vor 103 Jahren, am 30.3.1912 starb Karl May, 70-jährig und vom Leben enttäuscht. Sein Werk und sein Mythos aber leben fort.
Das Programm: Durchgeritten. Alles von Karl May. Directors Cut
Die Frankfurter Regisseurin Birgitta Linde hat ein fabelhaftes, äußerst kundiges Bühnenstück über Karl May und sein Leben, seine Träume, Romane und Schwindeleien geschrieben und in Szene gesetzt. Ein Solo, maßgeschneidert für Andreas Wellano, einen Charakterdarsteller von Rang, vielbeschäftigter Film- und Fernsehschauspieler, in Maske, Duktus und Sprache als der leibhaftige Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi. Einen satirischen Parforceritt nennen die Veranstalter dieses wort- und ereignisreiche Programm zu Recht, das bei seinem Gastspiel im Remscheider Teo Otto Theater am Donnerstag aber leider nur knapp sechs Dutzend Interessierte lockte. Wo waren all die heute etwas älter gewordenen Jungs und Mädels aus –zig Generationen, die einst Karl May mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen haben? Den wenigen aber machte dieses turbulente, wortgewaltige Programm über ihren Helden, der hier zwar saftig, aber doch nur sanft karikiert wurde, richtig Spaß.
Ein bißchen durfte auch das Publikum mittun, als Wellano den vollen Namen Halefs abfragt und spontan aus weiblichem Munde die Antwort bekommt: Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. Wie Wellano sich in Karl-May-Posen wirft, wie er die oft erschütterte Selbst-Überzeugung des angeblich polyglotten Aufschneiders, der (durchgerechnet) etwa 1.200 Sprachen und Dialekte zu beherrschen behauptete, außer Ägypten nie eines der Länder aller Erdteile betreten hat, von denen er mit geschwellter Brust berichtete und der wie kein anderer von Neidern angefeindet und von Epigonen kopiert wurde. Von all den Kampfwunden, die er überlebt hat, wollen wir gar nicht weiter reden. Ein Held.
So urkomisch wie logisch Birgitta Lindes Einfall, Karl May mit dem abschreibenden Freiherrn von und zu Guttenberg zu vergleichen – wobei May durchaus besser abschneidet – und May/Wellano ein wenig verächtlich aus Guttenbergs koketter Autobiographie „Vorerst gescheitert“ zitieren zu lassen. Das war schon „Bestsellerfressen“ in der Tradition von Wolfgang Nitschke. Auch die üppige Sammlung von Schenkel-Zitaten aus den Abenteuer- und Reiseromanen, die fraglos die unterschwellige Erotik der Romantexte belegen, ist witzig. Karl Mays finale flammende Selbst-Verteidigung unter dem Trommelfeuer von Presse und Neidern gerät Wellano zum mitreißenden Fanal. „Sieg, großer Sieg! Ich sehe alles rosenrot“, sind Karl Mays verbriefte letzte Worte. Diesen allerletzten Triumph wollen wir ihm gönnen. Ein „Bravo!“ für Andreas Wellano, der für uns einen kurzweiligen Abend lang Karl May war.
|