Dialekt und Mentalität (1)

Am Beispiel des Eis verdeutlicht

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Dialekt und Mentalität (1)

Am Beispiel des Eis verdeutlicht
Daß es Zusammenhänge zwischen Dialekt und Mentalität geben muß, ist jedem klar, der schon mal aus seinem Dorf hinausgekommen ist. Wie genau aber diese Zusammenhänge sind, wird Ihnen kein Wissenschaftler präzise „auseinanderdividieren“ können (wie man im Rheinland sagt, wo man allerdings das Gegenteil nicht kennt, „zusammenmultiplizieren“, aber das wäre ja auch Blödsinn, oder?!). Ich natürlich auch nicht. Ich möchte aber an einem Beispiel versuchen, etwas konkreter als auf der Ebene „Der Bayer ist grantig und der Hanseat ist arrogant“ über diese Zusammenhänge zu spekulieren.
Das Wort Ei ist ein richtiges Phänomen in der deutschen Sprache. Es ist eines der kürzesten Wörter, das wir kennen, es ist sogar ein absolut untypisches deutsches Wort: zwei Vokale, ein e und ein i, kein tsch, kein pfg, keine Konsonanten, diese Schrecknisse für alle Italiener, Spanier oder Franzosen, wenn sie deutsch lernen müssen. Deutsch ist ja tatsächlich eine der vokalärmsten Sprachen, von Belcanto keine Spur, die Vokale fristen ein ärmliches Schattendasein. Vor Wörtern wie „geschrumpft“ (2 Vokale : 9 Konsonanten, dagegen italienisch „diminuito“ = 5 Vokale : 4 Konsonanten!) bekommt der Südländer Pickel und ein Wort wie „Strickstrumpf“ treibt ihn in die Depression. Wäre Giuseppe Verdi Deutscher gewesen, wir hätten keine Traviata, keinen Rigoletto, keinen Otello! Kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit Wagner oder Strauss – haben die auch nur annähernd so was wie „la donna è mobile“ komponiert? Also bitte. Ich schweife ab: das Ei.
 
Wenn man nun dieses Wort durch die deutsche Sprachlandschaft rollt, äh kullert, kann ja nicht rollen, is ja ein Ovoid, dann ist es schon erstaunlich, wie viele Variationen es gibt, wie unterschiedlich die Farben sind, die das Wort Ei annehmen kann – so unterschiedlich wie die Mentalitäten der einzelnen Regionen.
Bestellt zum Beispiel in Hamburg ein Hanseat zum Frühstück ein Ei, so wird er dieses Wort nicht ohne den berühmten hanseatischen Anknack-Apostroph aussprechen können. Dieser wird gebildet vom – wobei, wo Sie grad sagen: Hanseat. Das ist natürlich auch so ein Kapitel für sich: jahrmillionenlang haben die da oben an des Wassers Kante gelebt - furchtbar! Immer wieder naß, immer wieder Springflut, das hat den Hanseaten geprägt, darüber ist der Hanseat zum Kiemenatmer geworden: er nimmt nur soviel Luft in der Körper hinein, wie im Mund Platz hat, weil: du machst den Mund auf, willst was sagen, holst Luft und was passiert? Springflut! Da hast du keine Chance, du stehst unter Wasser und bist tot! Deshalb verwendet der Hanseat das Zäpfchen noch in seiner ursprünglichen Funktion: als Stoppen, dann ist der Hals wasserdicht, kann nix mehr passieren, außerdem: er ist darüber auch zum Mützenträger geworden, kein Hanseat ohne Kapitänsmütze, ich meine: der Hanseat weiß auch, daß das nicht schön ist, nur, er trägt die Mütze ja nicht deshalb: er trägt sie weil... nehmen wir mal ein Beispiel: 7 Uhr früh, der Hanseat will raus Brötchen holen, gestern war es trocken, heute geht er vor die Tür, schwupp! steht er fünf Meter unter Wasser, weil, wie gesagt: Springflut. Nun isses ja so: der Körper sinkt, die Mütze schwimmt. Dann kommt Stunden später das technische Hilfswerk, sieht die Mütze da schwimmen und weiß: aha! Da ist einer und kann sich ans Retten machen, er braucht kein Echolot, er hat ja den Mützen-Navi.
Aber das nur nebenbei.
 
Ei! Will also ein Hanseat zum Frühstück ein Ei bestellen, so wird er, wie gesagt, das nicht ohne Anknack – Apostroph aussprechen können: da wird die Luft in den Mund geholt, jetzt kommt das Wort Ei. Mit dem Gaumensegel wird nun der gesamte Luftvorrat im Mund kurz angetitscht, der Kopf geht gleichzeitig ruckartig nach hinten und das soll dann schön sein! Das hört sich dann alles zusammen so an: „Ich hätte mal geane zum Früh-s-tück ein – ‚Ei!“.
Was Wunder, wenn das bei vielen als extrem sonderbar bis arrogant ankommt: durchhauchte Wörter mit den Schneidezähnen gekämmt, da sind Kampen und die Whisky-Meile nicht mehr fern.   
Lassen wir jetzt mal die unwesentlichen Regionen wie Sachsen oder so weg, weil, obwohl: Sachsen! Die trennen ja, wenn es um das Wort Ei geht, erstmal das Eigelb vom Eiweiß bevor sie es aussprechen! Nach dem Motto ‚die Guten ins Kröpfchen’ wird das Eigelb schon mal direkt verdrückt, weil: was man im Bauch hat, kann einem die Stasi nicht mehr nehmen, und das Eiweiß, nu, das glibbert dann so schleimig über die vorgestülpte Unterlippe raus, und schwöppelt dann kläbrich ausm Mund, also schön ist das nicht, oder! Das Ganze hat allerdings historische Hintergründe: der Sachse, so fängt das schon mal an, ist gar nicht aus Sachsen. Auch wenn die das nie sagen: der Sachse der kommt von Hause aus,also amfürsich, wie der Kölner sagt, aus Asien, von hinterm Ural kommt er her, aus Ka-Sachs-tan. Und dann - das mag jetzt so um die vierzigtausend Jahre her sein - hat der Sachse über den Ural rübergemacht, hat also eine gewisse Mauererfahrung schon mitgebracht. Nun sind im Laufe der Geschichte ja viele Völker durch Sachsen gekommen. Und von allen, die da durchgekommen sind, hat der Sachse auf den Kopf bekommen. Ob das der Wikinger war, der Mongole, der Hunne, Friedrich der Große, Maria Theresia, Helmut Kohl - immer hat der Sachse auf den Kopf gekriegt. Nur, wenn man sich jetzt überlegt: wie ist denn aus dem asiatischen Dialekt sächsisch entstanden, dann muß an sich die Physik vom Schlag auf den Kopf genauer anschauen. Da ist einmal der Schlag, das ist reine Energie. Die Energie geht in den Kopf und will wieder raus, weil: schön ist et nicht, da drin. Jetzt geht das aber nicht, weil: vorne ist die Stirn, fester Knochen, da läuft schon mal gar nichts. Nun hat aber jeder Mensch im Gesicht ein verschiebbares Weichteil, das ist die Unterlippe. Es passiert also, was jeder weiß: bekommst du einen Schlag auf den Kopf, dann schiebt sich in dem Moment die Unterlippe nach vorne um die Energie rauszulassen. Jetzt stellen Sie sich das aber über Tausende von Jahren hin vor: päng! öhh - päng! öhh - immer geht die Lippe nach vorne, irgendwann bleibt sie vorn stehn und schon hammr säggssch! Deshalb sag ich ja: sächsisch klingt immer so, als hätte es ein anderer eben noch im Mund gehabt. Ich persönlich aber, ich liebe es trotz alledem!
 
Und wie sieht das im Rheinland aus? Davon erzähle ich Ihnen hier am nächsten Dienstag.
 
In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher


©  Konrad Beikircher
Redaktion: Frank Becker