Gemetzel im Goldrahmen

Das TaltonTheater erschreckt mit einer straffen „Elektra“

von Martin Hagemeyer


Gemetzel im Goldrahmen
Das TaltonTheater erschreckt mit einer straffen „Elektra“
 
Hugo von Hofmannsthal: Elektra.
 
Regie: Jens Kalkhorst - Assistenz: Alina Redmann - Bühnenbild: Rüdiger Tepel - Kostüm: Maria del Vecchio, Julia Voßkühler, Doris Hartmann - Maske: Sandra Kremer.
Besetzung: Klytämnestra: Sarah Kocherscheidt – Elektra: Angela del Vecchio – Chrysotemis: Marlene Meissner – Ägisth: David Meister – Orest: Maurice Kaeber – Alter Pfleger: Thomas Stratmann – sowie: Svenja Dee, Sigrid Möllmer, Steffi Spichala, Frida von Zahn, Erika Klein-Ejupi.
 
Vielleicht ist es nicht so klug, sich gerade „Elektra“ auszusuchen, um ein Haus wie das Taltontheater recht kennenzulernen. Die seit langem im Tal aktive und 2012 in der Wiesenstraße auch seßhaft gewordene Privattruppe verbinden viele eher mit modernen Komödien als mit antikem Gemetzel.
Passend läßt der Rahmen einen gefälligen Abend vermuten. Obwohl im Gebäude einer früheren Gummibandfabrik untergebracht, empfängt den Gast keineswegs die Schroffheit heutiger Off-Theater, sondern wohlige Kultiviertheit: Die Bar mit Kronleuchter und Sinatra-Gesäusel, der kleine Luxus feiner Stoffhandtüchlein auf den Toiletten erinnern sogar an den extrem schmucken „Kontakthof“, die von Oliver Brick gegründete Kleinkunstbühne in der City.
 
Aber Wohlfühl-Atmosphäre? Im Saal ist es aus damit. Keine Spur versucht Regisseur Jens Kalkhorst, Hofmannsthals Sophokoles-Adaption in ihrer Wucht abzumildern. Das Gegenteil trifft zu: Es ist der pure Overkill.
„Darum muß ihr Blut hinab / Um dir zu Dienst zu sein!!“ Mimisch wie stimmlich holt Angela del Vecchio in der Titelrolle alles aus jeder Silbe heraus, um Elektras ohnehin schaurige Entschlossenheit auf die Spitze zu treiben: Um ihren Vater Agamemnon zu rächen, will sie seine Mörder richten – nämlich ihre Mutter und deren Liebhaber.
Konsequent maßlos ist die Inszenierung, und das Bühnenbild (Rüdiger Tepel) unterstützt das auch praktisch: Die zu beiden Seiten schräg nach oben führenden Spielflächen sind aus Metall, ebenso wie die frontale Hinterwand. Mit Stock oder Hand können sie lautstark zum Schallen gebracht werden, wenn es gewalttätig wird.
Es wird oft gewalttätig.
Im kleinen Theaterraum heißt das: knapp vor Folter.

 
Erinnert der langmähnige Geck Ägisth (David Meister) nicht enorm an Käpt'n Sparrow aus „Fluch der Karibik“, will man ätzen? Ist nicht Richard Strauss zu danken, daß uns von Hofmannsthals „Elektra“-Beschäftigung mehr das Opernlibretto erhalten blieb – dann hört sie sich wenigstens auch schön an? Doch derlei Flucht ins Witzeln zeigt ja nur: Man will sich Luft verschaffen.
Denn es ist ja gut, ein Stück einmal so geradlinig brutal zu erleben – bis der Zuschauer erlöst ist und die Bühne mit blutigen Körpern übersät: Die Mörder erstochen, daneben Elektra, die nicht die Waffe führte, aber dem Rächer zur Hand ging – Orest, ihrem Bruder.
Freilich geht der konstant forcierte Ton auf Kosten der Textwirkung. Hochspannend eigentlich etwa das Zusammentreffen der zwei Geschwister – bei dem beide einander erst nicht erkennen: Orest galt als im Krieg gefallen, und Elektra gibt sich dem Fremden nicht zu erkennen. Doch heute bleibt für Spannung nicht viel Zeit, spätestens kurz nach Klärung der Identitäten: „Schwester, ob nicht die Mutter ... Dir ähnlich sieht?“ heißt es im Text von Orest; doch kaum daß Maurice Kaeber so ungeheure Worte etwas wirken lassen darf, wird wieder gescheppert. Dennoch: Hut ab vor dem konsequenten Konzept.
 
Bleibt die Frage, ob ein ganz auf Publikumsgunst angewiesenes Theater sich so viel Häßlichkeit leisten kann. Sechsmal wollten Zuschauer das Stück wohl sehen – nicht gerade viel. Andererseits weiß man, daß eine Orestie kein Ponyhof ist. Und vielleicht macht ja gerade der Kontrast zum Ambiente das Blutbad kompakt und verdaulich. Eine Stunde durchschütteln und raus: „My Way“ spielt weiter.
 
Weitere Informationen: taltontheater.de