Reif für die Insel

Helle Helle - „Die Färseninsel“

von Frank Becker

Reif für die Insel
 
Wie reagieren Sie auf großen Kummer? Weinen, grübeln, verzweifeln, Fenster putzen, weglaufen? Die zentrale Figur in Helle Helles soeben bei Dörlemann erschienenem Roman „Färseninsel“ (Ned til hundene), eine Frau von 42 Jahren (das erfahren wir erst ziemlich am Schluß), ist auf der Suche nach einem guten Ort zum Weinen in den nächstbesten Bus gestiegen und nach ein paar Stunden im Nirgendwo an einer Haltestelle in einem Nest am Meer an der Südwestküste Seelands gelandet, irgendwo in der Nähe von Næstved. Als über Meer, Küste und dem Wartestellenhäuschen ein Orkan aufzieht, lädt sie ein vorbeikommender junger Mann ein, bei ihm und seiner Freundin Schutz zu suchen. John und Putte kümmern sich wie selbstverständlich um sie, ohne Fragen zu stellen. Sie nennen sie Bente, sie läßt es sich gefallen, bleibt - und so schnell wie unkompliziert wird sie als Bente in den verzweigten Familien- und Freundeskreis aufgenommen. Über ihr Woher und Wohin spricht sie nicht und man fragt sie nicht.
Viel mehr als ein paar Streiflichter ihres vorherigen Lebens erfahren wir im Verlauf der Erzählung nicht über die Frau, die plötzlich Aufgaben übernimmt, unentbehrlich wird, nicht einmal ihren richtigen Namen. Daß sie Bücher schreibt, wird irgendwann auch offenbar, bleibt aber unwichtig. Nur der Mensch zählt.
 
Mit der ihrem besonderen Stil eigenen menschlichen Wärme und mit verhaltener Leichtigkeit läßt Helle Helle die Protagonistin die Geschichte mit einigen wenigen Rückblenden erzählen. Dabei baut sie wie einen Sog unterschwelliger Spannung auf, der den Leser einerseits auf der Suche nach Erklärungen, andererseits in der Hoffnung auf fortdauernde Harmonie förmlich von Kapitel zu Kapitel zieht. Man schlüpft mit ihr unter das Dach von John und Putte, radelt mit ihr den langen Weg gegen den Wind zu Dagli´ Brugsen, lernt die teils skurille, teils lebenskluge Verwandtschaft kennen und erfährt dabei viel mehr über sich selbst als über „Bente“. Der scheint dank der Hilfsbereitschaft und der spürbaren Menschenfreundlichkeit ihrer neuen Umgebung der fließende Übergang in ein völlig neues Leben zu gelingen. Wieder ist es auch die Wiedererkennbarkeit von Orten und Menschen, mit der Helle Helle schon in ihren anderen Romanen gepunktet hat, wieder ist es die für jeden nachvollziehbare Wirklichkeit alltäglicher Dinge, Ereignisse, Handlungen, die das Buch so lesbar macht.
Natürlich wird kein Leser wirklich glauben, man könne im kleinen Dänemark einfach so „verschwinden“, am allerwenigsten die Dänen, deren Leben von Personennummer und Dankort geregelt ist. Aber man darf ja, besonders in einer verwalteten Welt, träumen…
 
Wo ist der Anfang? Wie wird das Ende sein? Was ist das Wichtige? Helle Helle überläßt ihre Leser bewußt den Fragen und der Entscheidung, der sich die namenlose Protagonistin stellen muß. Was wird aus ihrem Traum von der kleinen Insel vor der Küste, den Hunden des Onkels und dem verlorenen Lottoschein? Das Buch wird auch Sie sogleich fesseln und nicht wieder loslassen.
 
Helle Helle  - Die Färseninsel
Roman - Aus dem Dänischen von Flora Fink
Originaltitel: Ned til hundene
© 2015 Dörlemann Verlag, 223 Seiten, gebunden, Lesebändchen – ISBN 978-3-03820-014-7
19,90 / € [A] 20,50 / SFr. 27,00 (UVP)
Auch als eBook erhältlich: ISBN eBook 9783908778646
Ca.  14,99 € / SFr. 19,–
 
Weitere Informationen:  www.doerlemann.com