Rhythmik, Traum und Temperament

Mark Laycock und das Sinfonieorchester Wuppertal mit zeitgenössischer amerikanischer Musik

von Frank Becker
Rhythmik, Traum und Temperament
 
Beim 7. Konzert der Saison führt Mark Laycock das Sinfonieorchester Wuppertal
durch Beispiele amerikanischer Musik des 20. Jahrhunderts
 

Sinfonieorchester Wuppertal - Saxophonquartett „clair-obscur“ - Mark Laycock, Leitung
 
Programm
George Gershwin - „Cuban Overture“

Mark Laycock © Mark Laycock
Aaron Copland - „El Salón México“
Bob Mintzer - „Rhythm of the Americas“
Leonard Bernstein - „Three Dance Episodes“ aus „On the Town“
Charles Ives - „Putnam’s Camp“aus „Three Places in New England“
Leroy Anderson - „Jazz Pizzicato“
Arturo Márquez – „Danzón Nr. 2“
John Adams - „Short Ride in a Fast Machine“
 
Mit tosendem Auftakt und einer Musik, die unmittelbar ins Blut geht, mit der das Orchester unter dem feurigen Dirigat Mark Laycocks tänzerische Bilder karibisch bunter Ballett-Szenen malt, eröffnete der amerikanische Dirigent und Komponist am Sonntagvormittag in der Historischen Stadthalle Wuppertal das alleine schon durch die Zusammenstellung der Namen aufregende Sinfoniekonzert. Gegen das was noch kommen sollte, wirkte George Gershwins (1898-1937) genußreiche „Cuban Overture“ die zunächst passend „Rumba“ hieß, trotz des hinreißenden Klarinetten-Solos in der Mitte, eines insgesamt traumhaft tragenden Streicherapparates und sieben Perkussionisten in all ihrer exotischen Pracht beinahe bieder. Denn schon Aaron Coplands (1900-1990) „El Salón México“ stellt den Hörer nach verhaltenem Einstieg und einem delikaten Dialog Trompete/Klarinette vor Aufgaben. Donnerschläge der Kesselpauken wechseln in der Abstraktion mexikanischer Motive mit fast verlassen wirkenden verwehenden Klangfahnen der Streicher und Holzbläser, während sich ein Mariachi-Hauptthema sich in etlichen Variationen als steter roter Faden durch das Stück zieht.
 
Höhepunkt der ersten Hälfte des ebenso raren wie reizvollen Konzerts ist das viersätzige Saxophonkonzert „Rhythm of the Americas“ für Saxophon-Quartett und Orchester des amerikanischen Jazz-Saxophonisten, Big-Band-Leaders und Komponisten Bob Mintzer (*1953). Das Saxophonquartett „clair-obscur“ mit Kathi Wagner (bs), Christoph Enzel (ts), Maike Krullmann (as) und Jan Schulte-Bunert (ss) verschmolz nach verzauberndem Intro von Kesselpauke und Glockenspiel homogen mit der traumhaften Kulisse des Orchesters. Plakativ hörbar wurden die

Bob Mintzer - Foto © Frank Becker 
Satzbezeichnungen herausgearbeitet, kostbar das Solo- und Zusammenspiel des sich stets über Blickkontakt austauschenden Quartetts in seinen Klangfarben. Nach dem ungemein komplexen Schlußsatz „Confluence“ wurden Quartett und Orchester mit allem Recht vom hingerissenen Publikum gefeiert. Spätestens jetzt war das Kompliment Sir Simon Rattles über die seit 12 Jahren in unveränderter Besetzung spielenden „clair-obscur“ in seiner Ambivalenz verstehbar: „Best sax ever“.
Ein Traum war dann auch die wunderschöne humorvoll gestaltete Interpretation der Zugabe „Libertango“ von Astor Piazzolla. Der Applaus für „clair-obscur“ war beeindruckend.
 
Leonard „Lenny“ Bernstein (1918-1990) hat 1944 mit „On the Town“ sein erstes Musical geschrieben. Es hat die Erlebnisse dreier US-Navy-Matrosen beim Landurlaub in New York zum Inhalt, zu einer Zeit, als man im Krieg gegen die Achsenmächte stand und Soldaten Sympathieträger waren und noch etwas galten. 1949 verfilmten Gene Kelly/Stanley Donen den Stoff mit Starbesetzung (Frank Sinatra, Ann Miller, Jules Munshin, Vera-Ellen u.a.) und übernahm die Hauptrolle des Gabey. Hier kam es zu einer seiner berühmten tänzerischen Traumsequenzen „Dance of the Great Lover“, die auch Teil der „Three Dance Episodes“ dieses Konzerts ist. Das Wuppertaler Sinfonieorchester unter Mark Laycock weckte bei geschlossenen Augen die Filmbilder.
Wie Bernstein in „On the Town“ verarbeitete auch Charles Ives (1874-1954) in „Putnams Camp“ aus „Three Places in New England“ Traumbilder. Er schafft in seiner Seelenzustände illustrierenden Komposition sich vielfältig bis zum Chaos überlagernde Klangebenen – eine Herausforderung für Hörer.
Das „Jazz-Pizzicato“ Leroy Andersons, ein Ohrwurm wie alle seine unendlich vielen und unerhört populären Kompositionen ein Bonbon, wurde als eine von zwei „erholsamen“ Petitesse zwischen Ives und die sinfonische Schlußpointe, John Adams´ „Short Ride in a Fast Machine“ gestellt. Gleich welches Anderson-Stück als Schmankerl in Konzerte eingebaut wird – es reizt jedes Mal zur Aufforderung an die Orchesterleitung, doch mal einen Abend nur Leroy Anderson (1908-1975) zu widmen, zumal wenn man das Vergnügen der Musiker dabei erlebt. Vergnügen schenkte mit bestechender Melodik, im schnellen Wechsel mal träumerisch, mal tänzerisch temperamentvoll auch Arturo Márquez´ (*1950) „Danzón Nr. 2“, der beinahe ebenso bejubelt wurde wie der folgende grandiose Schluß.
 
Der Minimalist John Adams, der heute in den USA zu den populärsten und meistaufgeführten Komponisten gehört, wurde 2003 mit dem Pulitzer Preis für Musik und 2004 mit dem mit 100.000 $ dotierten Nemmers Preis für Komposition ausgezeichnet. Faszinierend entwickelt sich einzig auf Rhythmen basierend „Short Ride in a Fast Machine“ (1986) der spannende Schlußpunkt des Konzerts. Das Sinfonieorchester Wuppertal spielte das komplexe, durch seine vertrackten Rhythmen äußerst schwierige Stück fesselnd, das erste Mal wieder seit George Hanson, der es zu seiner GMD-Zeit in Wuppertal, als Vorreiter amerikanischer Contemporary Music auf deutschen Podien, hier vor zehn Jahren aufgeführt hat. Der Lohn des außerordenlichen Konzerts waren minutenlanger Beifall und herzhafte Bravi.
 
Das Konzert wird heute Abend, 20.00 Uhr an gleicher Stelle im Großen Saal der Historischen Stadthalle wiederholt. Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse gibt um 19.00 Uhr eine empfehlenswerte Konzerteinführung.
 
Weitere Informationen:  www.wuppertaler-buehnen.de/