Träumen erlaubt

Barbara Sternthal / Harald Eisenberger – „Wie man Venezianer wird“

von Frank Becker

Kann man Venezianer werden?
 

It is hard to find your roots in a city
which is built on water.

Marie Brandolini

Venedig ist ein Phänomen, einzigartig, unvergleichlich, edel. Wer aber als Fremder glaubt, jemals Venezianer werden zu können, muß sich belehren lassen: Du kannst in Venedig leben und vielleicht den Respekt Deiner Nachbarn erringen – aber ein Venezianer, nein, ein Venezianer wirst Du nie. Das mag ernüchternd klingen, aber es ist, wie es ist. Nur wer in der Serenissima geboren ist, ihr Veneziano spricht, die Nachbarn von Kindesbeinen an kennt und auf dem Mercato und der Pescheria den angemessenen Preis aushandeln kann, kann auch Venezianer sein. Werden kann man es nicht.
Dennoch ist es der nicht einmal heimlich gehegte Wunsch, der unbedingt verständliche Traum vieler übersättigter Mitteleuropäer, Engländer und Amerikaner, irgendwann dem stolzen Volk der Venezianer in der fast unwirklichen Stadt im Meer anzugehören, ihr bisheriges Leben gegen das unauffällige, ruhige Venedigs, seiner Calle und Kanäle einzutauschen. Viele haben es versucht, vielleicht angeregt von den großen Malern und Schriftstellern, die Venedig verewigt haben: Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke und Thomas Mann, Lord Byron, Robert Browning, Richard Wagner, Marcel Proust, William Turner, Auguste Renoir, Patricia Highsmith, Donna Leon sowie ungezählte andere Künstler und Dichter.
Einige
Neu-Venezianer", u.a. Deutsche und Dänen, Briten und Kroaten, Franzosen und Amerikaner, Österreicher und Schweizer, läßt Barbara Steinthal in ihrem wunderschönen Buch „Wie man Venezianer wird“ zu Wort kommen. Sie haben es redlich unternommen, in der Stadt ihrer Träume, gelegentlich auch ihrer Liebe (vielleicht das schönste Motiv) anzukommen und beschreiben es für dieses von Harald Eisenberger einfühlsam illustrierte, zauberhafte Buch, nach Stadtteilen sortiert.
 
Eisenberger hat die Neubürger Venedigs, ihre häusliche und berufliche Umgebung, ihre Wege und die Stadt ihrer Träume fotografisch portätiert, Barbara Steinthal hat sie ihre Geschichte(n) erzählen lassen. Handwerker und Künstler sind darunter, Händler und Designer, Historiker und Gastwirte. Philosophen sind sie alle ein wenig. Millionen von Touristen und ungezählte Liebespaare tun es ihnen besuchsweise jährlich nach – überwiegend im Frühling und Sommer – und besuchen die Stadt Canalettos, Guardis und Tiepolos, Casanovas und Goldonis. Sie sind und bleiben wie diejenigen, die sich in Venedig „eingekauft“ haben willkommene Gäste. Dennoch Fremde. Wer aber je seinen Fuß auf den schwanken Boden der Serenissima gesetzt und dieses einzigartige, seit dem 6. Jahrhundert auf 117 Inseln und Inselchen und ungezählten Stelzen im Morast und Brackwasser der Bucht vor Mestre errichtete Gebilde gesehen hat, wird ihm verfallen bleiben. Im Dämmer der Gassen, auf den 400 Brücken über 177 Kanäle, den stillen Plätzen abseits der Piazetta und in den kleinen Bars, Bacaris und „Caffés“ läßt sich der Reisende in deren Zauber einhüllen, im vergeblichen Versuch, das unlösbare Geheimnis ihres Charmes zu ergründen. Vielleicht ist es ja das, was Fremde immer wieder reizt, Venedig für sich für ihr, nur ihr Herz und Gemüt zu erobern. Wer für und bei sich selbst in Venedig angekommen ist, hat ganz sicher das große Los gezogen - ihn beglückwünsche ich mit einer artigen Verbeugung und einem ganz kleinen bißchen Neid.
 
„Wie man Venezianer wird“ ist ein ganz wunderbares Buch, nicht zuletzt für jeden, der jemals dem unvergleichlichen Reiz, dem poetischen Atem der Serenissima begegnet ist, ihn aufgesogen hat. Man wird nie Venezianer werden – aber man darf es grenzenlos lieben. Diesem mit den Sehnsüchten Fremder gezeichneten sensiblen Porträt einer bezaubernden Stadt gehört meine ganze Sympathie. Dafür den Musenkuß.

Venedig ist die schönste Stadt, um zurückzukommen,
weil sie sofort alles andere irgendwie außer Kraft setzt.

Katharina John
 
Barbara Sternthal (Text) / Harald Eisenberger (Fotos) – „Wie man Venezianer wird: der Traum vom Leben in der Serenissima“
© 2010 Styria regional - Carinthia-Verlag, 159 Seiten, geb., reich farbig illustriert
ISBN 978-3-222-13304-6
24,95 €
Weitere Informationen:  www.styriabooks.at

Aktueller Nachtrag: das Buch ist mittlerweile beim Verlag vergriffen.