Der Spott der kleinen Dinge

Jesus und Madonna

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Jesus und Madonna
 
Neulich hat wieder einer gewußt, wo das Bernsteinzimmer ist. In Wuppertal. Der Mann, der das gewußt hat, bohrt dort in Kellergewölben Löcher. Er ist Sachse, er wittert Hohlräume. Der ostpreußische Gauleiter war Wuppertaler. So kam der Sachse darauf. Nazis sind ja sehr heimatverbunden.
    Verrückterweise kenne ich die Straße, unter der das Bernsteinzimmer ist: Münzstraße. Ich hatte mal einen Ferienjob bei einer Werbeagentur, die in Wuppertal Plakatwände besaß. Für den Ferienjob habe ich die Plakatwände fotografieren müssen. Einmal nah, einmal weit. Den Sinn habe ich vergessen.
    Zu der Zeit wurde viel für eine Cola mit recht fiesem Geschmack geworben. Ich fuhr durch Wuppertal und fotografierte bei großer Hitze Cola-Plakate. Ich war auch in der Münzstraße und stellte für eine Cola, die sich nie und nimmer verkaufen sollte, auf Blende acht. Unter mir ruhte das Bernsteinzimmer!
    Als mir das jetzt klar wurde, rief meine Mutter an. Mir war noch ganz anders von der Vorstellung, daß mir das Bernsteinzimmer 1990 praktisch zu Füßen lag: »Mutter, ich hätte das Bernsteinzimmer haben können, ich war ganz nah dran!« Meine Mutter dekoriert ihr Haus dauernd um, es wäre gar kein Wunder, wenn es plötzlich wie das Bernsteinzimmer aussähe. Aber ihr aktuelles Thema ließ meiner Hysterie keinen Raum.
    »Madonnas neuer Freund heißt Jesus«, sagte meine Mutter, »das ist doch wohl ein Witz!« Meine Mutter lachte höhnisch. Sie wiederholte mehrfach das Begriffspaar Jesus und Madonna. Ich fand es nicht ungewöhnlicher als Wuppertal und Bernsteinzimmer.
    Ich erwiderte, daß es den beiden sicher ernst sei. »Ernst? Der Jesus will doch nur Madonnas Geld!« Ich sagte, daß sie reich und er schön sei, und es sich dabei um ein ganz normales Gesellschaftsspiel handele, ob man nun Jesus heiße oder nicht. Ich führte in anderem Zusammenhang die Verliebtheit von Veronica Ferres in Carsten Maschmeyer an. »Marschmeier? Wer ist das denn?«, fragte meine Mutter. Maschmeyer, sagte ich, sei eine Art Bernsteinzimmer mit Schnurrbart, sehr selten, sehr schwer zu finden, auch sehr wertvoll. Meine Mutter wechselte gelangweilt das Thema. Mit Bernstein weckt man bei Frauen heute offenbar kaum noch Interesse.



© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.