Der Umarmer

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Der Umarmer

Ich habe einen Bekannten, der mich dauernd umarmen will. Es gelingt mir nicht immer, mich seinem Zugriff zu entziehen. Er lädt mich manchmal zum Tortenessen ein und wer kann da schon „Nein“ sagen? Natürlich sind dann Begrüßung und Abschied eine Zumutung. Er umfaßt mich immer mit seinen langen Armen und bindet mich an sich wie einen Fallschirm. Ich fühle mich dabei hilflos und aus dem Leben gezogen. Ich könnte so noch nicht mal zerplatzen vor Zorn. So sieht keine Umarmung aus. Das ist eine Umklammerung. Ein beim Ringen nicht erlaubter Griff, weil er dem Gegner Gefühle vorgaukelt. „Jetzt hab ich dich endlich dort, wo ich dich haben will. Aus der Geschichte kommst du nicht mehr raus. Jetzt kann ich dir alle meine Probleme erzählen.“ Ich sage dann immer: „Nur raus damit. Erzählen Sie schon von ihrem Weltekel. Ich bin aus Paderborn. Ich kann viel ab“ Und er hechelt dann direkt in mein linkes Ohr: „Ja, was soll ich sagen. Mir erscheint alles so gleichförmig. Jeder Tag, jedes Wort. Jeder Mensch, jeder Sex.“ Und ich denke: „Genau das gleiche hat er mir auch schon vor vier Wochen erzählt.“ Also habe ich zu ihm gesagt: „Kommen sie zu uns nach Paderborn. Hier kann man sich überall gehen lassen. Wir wirken von Weitem unzugänglich, haben aber das Herz auf dem rechten Fleck. Es gibt bei uns Eingeweihte, die können ausreden lassen. Die hören zu und sind anständig. Gerade Leute, die sich woanders schwer einfügen können, sind bei uns willkommen. Der SC Paderborn hat sich so gefunden. Und zum Abschied kriegt man bei uns nicht immer einen Kuß. Aber so was ähnliches. Man reicht sich die Hände und ladet ein zu einem neuen Besuch.“


©  2015 Erwin Grosche für die Musenblätter