Vor 100 Jahren begann in der Türkei der Völkermord an den Armeniern

Ein Kommentar

von Frank Becker

Foto © Silke Kesting
Anläßlich des 100. Jahrestages des Beginns des Genozids gegen
die Armenier in der Türkei wiederholen wir einen Kommentar der
Musenblätter vom 6.2.2013

Liebe Leser,
 
mein Respekt vor den Franzosen steigt. Allen vermessenen Drohungen überheblicher türkischer Politiker und Medien zum Trotz hat Frankreich ein Gesetz erlassen, das die Leugnung des Genozids an den Armeniern währen des 1. Weltkrieges unter Strafe stellt. Damals mußten ca. 1.500.000 Menschen elend auf einem von der türkischen Regierung organisierten Zwangs-Gewaltmarsch in die Wüste ihr Leben lassen. Für diesen grausamen Massenmord kann auch das Wort von Marcel Reich-Ranicki gelten, das er anläßlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar 2012 im Bundestag über die „Umsiedlung" der Warschauer Juden ins KZ Treblinka 1942 gesagt hat: „Sie hatte nur ein Ziel, sie hatte nur einen Zweck: den Tod.“
 
Mit genau dem selben Ziel und beinahe den gleichen Methoden und menschenverachtenden Begleiterscheinungen hatten die Türken am 24. April 1915 begonnen, die Armenier aus ihren Häusern zu jagen, sie zu berauben und auf endlosen Fußmärschen in den grausamen Tod in der Wüste Mesopotamiens zu treiben. Darauf hatte 1919, nach dem Ende des 1. Weltkrieges, in dessen Schatten dieser entsetzliche Völkermord geschehen war, der Schriftsteller Armin T. Wegner in einem erschütternden offenen Brief an den damaligen US-Präsidenten Wilson die Welt aufmerksam gemacht. „… so haben sie ein ganzes Volk, Männer, Frauen, Greise, Kinder, schwangere Mütter, unmündige Säuglinge in die arabische Wüste getrieben mit keiner anderen Absicht als der - sie verhungern zu lassen.“ 
 
Seither weigert sich die Türkei beharrlich, sich zu diesem Verbrechen an der Menschheit zu bekennen, das in seiner Dimension den Morden der Nazis an den Juden gleichkommt und zu der damit verbundenen Verantwortung zu stehen. Wer das in der Türkei fordert, setzt sich staatlicher Verfolgung aus oder muß gar um sein Leben fürchten, ich erinnere an den Journalisten Hrant Dink, der deshalb am 19. Januar 2007 ermordet wurde. Doch um militärischer Bündnisse und politischer Verflechtungen willen nehmen z.B. Deutschland oder die USA dazu nicht eindeutig kritisch Stellung. Europa müßte dieses Bekenntnis zu einer Grundbedingung machen, den Wunsch der Türkei nach einem Beitritt zur Union zu prüfen. Frankreich hingegen nennt die Dinge beim Namen und zementiert die Schuld der Türkei sogar in einem Gesetz: niemand darf fortan den Völkermord an den Armeniern leugnen. Das zeigt Haltung, ebenso wie das konsequente Burka-Verbot.
 
Und ein willkommener Nebeneffekt für die Franzosen war, daß der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan nun beleidigt ist und nicht mehr nach Frankreich reisen möchte. Das ist doch ein guter Tip für Frau Merkel: Machen Sie es ebenso wie ihr Freund Nicolas Sarkozy, schaffen Sie sich zum einen in dieser Frage ein politisch reines Gewissen und ersparen Sie sich künftig Propaganda-Feldzüge dieses Ultra-Nationalisten in unserem Land wie 2011, als er in Düsseldorf vor 11.000 Landsleuten öffentlich gegen Deutschland hetzte – und nicht sogleich höflich zur Abreise aufgefordert wurde. Frau Merkel, machen Sie es wie die Franzosen, folgen Sie Bundespräsident Joachim Gauck und Bundestagspräsident Norbert Lammers, die durch ihr Bekenntnis zur Wahrheit meinen Respekt verdienen.

Ihr
Frank Becker