Ich erwarte die spanische Delegation!

Nikolai Gogols „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ - Ein Solo-Abend mit Thomas Braus

von Frank Becker

Foto © Sebastian Eichhorn
Ich erwarte die spanische Delegation!
 
Nikolai Gogols „Tagebuch eines Wahnsinnigen“
Ein Solo-Abend von und mit Thomas Braus
 
Vibraphonklänge, Baustellengehämmer, Klingeltöne vermischen sich zu einem wie Gehirnwäsche enervierenden Klang-Cluster (Uwe Dreysel), der den Besucher der Bühnenfassung von Nikolai Gogols Novelle „Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen“ beim Eintritt ins Wuppertaler Theater am Engelsgarten erwartet, ihn akustisch auf eine knappe Stunde langsam überschnappenden Wahnsinns einstimmt.
Auf dunkler Bühne bewegt sich langsam, unruhig ein schwarzer Quader, der sich gedreht als ein leuchtend weißer, claustrophobisch enger Raum entpuppt, der das Büro des Petersburger Titularrats Popriscin (Thomas Braus), in dem er seinen untergeordneten Ministerialdienst versieht, darstellt, aber auch die ebenso karge Zelle des Patienten Poprischtschin in einer Nervenheilanstalt werden wird. Wir folgen dem seelischen Verfall eines von stumpfsinniger Bürokratie und aufgrund von Standesunterschieden unerfüllt bleibender Liebe peu a peu den Verstand verlierenden Mannes. Thomas Braus gibt diesen in den Strudeln der Irrationalität ertrinkenden Kranken, seine Ausbrüche, Tiraden, Wahnvorstellungen, sein wiederholtes äußeres wie inneres Häuten stark, geradezu anpackend. Man kann sich als Zuschauer, auch durch die begleitende, sich ins Ohr bohrende musikalische Kulisse, dank Braus´ schauspielerischem Genie kaum selbst diesem Wahn entziehen. Braus schafft es, die seelische Metamorphose vom gedemütigten Ministerialbeamten zum durchaus stolzen Irren, der sich für den spanischen Thronfolger Ferdinand VIII. hält, in einer knappen, ungeheuer dichten Stunde zu vermitteln. Seine Barfüßig- und Barhäuptigkeit signalisiert von Anfang an dessen unausweichliches Schicksal. Mehr noch setzt er den bitteren Sarkasmus Gogols über die russische Gesellschaft der frühen Romantik in auch heute gültige Bilder um. Zum Frösteln.

1835 brachte Gogol (1809-1852) seinen Stoff unter dem Eindruck von E.T.A. Hoffmanns „Kreisleriana“ und „Die Lebensansichten des Katers Murr“ (die sprechenden/schreibenden Hunde hat Gogol dort entlehnt) zu Papier. Niemand konnte damals ahnen, daß Gogol sich 1852 in religiösem Wahn zu Tode hungern würde. Die „Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen“ nahmen prophetisch den eigenen Irrsinn vorweg.  
 
Ein elementarer Theaterabend. Thomas Braus, der gemeinsam mit Uwe Dreysel den Abend auch inszeniert hat, benutzt dabei die gegenüber der werktreuen von Korfiz Holm modernisierte und im Vokabular á jour gebrachte Theaterfassung von Werner Buhss. Eine gute Wahl. Die isolierten, gut zu verortenden plakativen Lacher während des Stücks aus dem voll besetzten Saal dokumentierten fehlendes Verständnis für Gogols/Braus´ Botschaft. Der lang anhaltende Applaus vom Plenum am Ende hingegen würdigte eine erlesene Leistung.
 
Idee/Konzept: Thomas Braus – Regie: Thomas Braus/Uwe Dreysel - Bühne: Wolfgang Heidler – Musik: Uwe Dreysel - Dramaturgie: Mona vom Dahl – Koordination: Helene Vogel – Fotos: Sebastian Eichhorn
 
Poprischtschin: Thomas Braus


Foto © Sebastian Eichhorn

Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de