Bühne frei für Reno Sweeny!

„Anything Goes“ von Cole Porter im Wuppertaler TiC-Theater

von Frank Becker

Jennifer Pahlke als Reno Sweeny - Foto © Martin Mazur
We got a kick out of her
oder
Bühne frei für Reno Sweeny!
 
Das Musical „Anything Goes“ von Cole Porter
in einer schmissigen Fassung im Wuppertaler TiC-Theater
Premiere am 9. Mai 2015 im Atelier Unterkirchen
 
Inszenierung: Ralf Budde - Musikalische Leitung: Stefan Hüfner - Choroeografie: Dana Großmann - Bühne & Kostüme: Kerstin Faber
Besetzung (der Premiere): Reno Sweeny (Jennifer Pahlke) – Erma (Anastasiia Jungk) - Hope Harcourt (Charlotte Reinke) – Evangeline Harcourt (Dorina Joch) – Barkeeper/Matrose/FBI-Agent/Reporter/Erzengel (Phillip Flanze) – Billy Crocker (Christopher Geiß) - Elisha Whitney (Torsten Kress) – Lord Evelyn Oakleigh (Florian Sigmund) – Moonface Martin (Wolfgang Sprotte) – Reverend Dobson (Dennis Gottschalk) - Kapitän (Tobias Unverzagt)
 
Anything Goes
 
Im Wuppertaler TiC-Theater scheint alles zu gehen. Erneut bewiesen mit einer glanzvollen Inszenierung des Cole-Porter-Erfolgsmusicals „Anything Goes“ am vergangenen Samstag.
Was alles passieren kann, wenn sich auf der Passage New York/London an Bord eines Luxusliners die sogenannten „Spitzen der Gesellschaft“, Ganoven auf der Flucht, Börsenmakler, Prediger, Blinde Passagiere und Liebesleute begegnen, ist Gegenstand dieses temporeichen Musicals, für dessen Gelingen der große Cole Porter die schmissigen Songs komponiert und ein Erfolgsteam aus Guy Bolton, P.G. Wodehouse, Howard Lindsay und Russell Crouse die Texte geschrieben hat. In einer Neufassung von Timothy Crouse und John Weidman und einer frischen deutschen Übersetzung von Christian Severin (Dialoge) und Hartmut H. Forche/Lind Winiewicz (Lieder) bringt Ralf Budde es pointensicher und unerhört flott auf die Bühne des TiC-Ateliers. Stefan Hüfner hat wie bewährt die Musik arrangiert und eingespielt, sowie die Background-Chor-Einlagen (live!) arrangiert. Der Sound ist Broadway-reif. Chapeau!
 
Promi-Sucht
 
An Bord der „M.S. America“ tummelt sich eine bunte Gesellschaft, werden raffiniert eingestielte Börsengeschäfte doch nicht abgeschlossen, Ehen hingegen geschlossen – wenn auch nicht wie geplant – Ganoven hofiert, solange sie Staatsfeind Nr.1 sind und Charaktere decouvriert. Daß P.G. Wodehouse am Script des 1934er Originals maßgeblich beteiligt war, ist unschwer zu erkennen. Die bissige Kritik an der britischen Society seiner großartigen Jeeves-Romane findet auch hier ihren Niederschlag. Mehr noch zieht er auch elegant der amerikanischen Dekadenz der 30er Jahre die Maske vom Gesicht. Zu sehr wurden damals Verbrecher wie Al Capone und Lucky Luciano von Öffentlichkeit und Presse hofiert. Ralf Budde gibt dem, angelehnt an die aktuelle Begeisterung für „Promis“ der 4. Kategorie und andere Niemande in den deutschen Medien durch seinen Kapitän (Tobias Unverzagt) und die unersättliche Sensationspresse ironisch und gelungen Gestalt.


Anastasiia Jungk, Wolfgang Sprotte - Foto © Martin Mazur
 
Gassenhauer und Talente
 
Es ist phantastisch, daß sich bis heute – und das sind immerhin fast 80 Jahre! - der Titelsong „Anything Goes“, das ebenso Standard gewordene „I Get A Kick Out Of You“ und Songs wie „It´s Delovely“, „Easy to love“, „Blow, Gabriel blow“ oder „You’re the Top“ ihrer genialen Konzeption wegen als Gassenhauer erhalten und bewährt haben. Spaßig und passend mit frischem Libretto hineinmontiert machte auch Cole Porters Let´s Do It“ aus dem 1928er Erfolg Paris eine gute Figur. Das Ensemble ist brillant zusammengestellt, zeigt neben den darstellerischen auch beachtliche gesangliche Qualitäten und glänzt mit Präzision in den hinreißenden Choreographien von Dana Großmann u.a. in „Anything Goes“ zu Ende des ersten Akts und in „Blow, Gabriel blow“ (auch in der Reprise), Leistungen, die vom Premierenpublikum erkannt und mit Ovationen belohnt wurden. Damit beweist das TiC-Theater einmal mehr seinen berechtigten Anspruch auf mehr als Semi-Professionalität. Daß sich dabei auch besondere Talente zeigen, macht umso mehr Spaß.
 
Jennifer Pahlke hat´s raus
 
Ein solches besonderes Musical-Talent ist offensichtlich Jennifer Pahlke, die bereits in „Hairspray“ und „Me and My Girl“ überzeugend ihre herausragende Qualifikation zu zeigen wußte. Das TiC-Theater wird sich glücklich schätzen, sie im Ensemble zu haben, denn in „Anything Goes“ wird sie zum unumstrittenen Mittelpunkt der Inszenierung, ein Multitalent in Tanz, Gesang und humorvoller Charakterdarstellung. Charmant, pfeffrig, berührend nahm sie die Herzen des Publikums und der Kritik im Sturm, konnte mit Frechheit und Sentiment punkten und verwies die eigentliche Hauptfigur Billy Crocker (sympathisch: Christopher Geiß) auf Platz 2. Nicht ohne Wirkung dabei die ihr auf den biegsamen Leib geschnittenen bildschönen Kostüme von Kerstin Faber, die übrigens auch die wirkungsvolle Kulisse des Oceanliners gebaut hatte.
Nicht unerwähnt soll eine weitere Dame bleiben, die aus der Nebenrolle der Gangsterbraut Erma eine äquivalente Hauptrolle machte: Anastasiia Jungk zeigte neben komödiantischem Talent und zu Herzen gehenden ehrlichen Charme durchaus stimmliche Qualitäten - mit Jennifer Pahlke ein süß-frivoles Gespann.


v.l.: Dorina Joch, Dennis Gottschalk, Jennifer Pahlke, Phillip Flanze - Foto © Martin Mazur
 
Reservieren, es lohnt!
 
Wir wollen noch einige Herren der Inszenierung ins Licht rücken. So haben die beiden „Geistlichkeiten“ Dennis Gottschalk (der Echte) und Wolfgang Sprotte (der Falsche) für viel Amüsement gesorgt, ist Florian Sigmund als Lord Evelyn Oakley (hat Wodehouse dabei gegen den Kollegen Evelyn Waugh geschossen?) eine nicht nur von Fans umjubelte Figur – sein Gypsy-Tango mit Reno ist eine Wucht – und sorgen Altmeister Torsten Kress als Börsenhai Whitney und Jungtalent Phillip Flanze für den komödiantischen Unterbau, ohne den ein solches Stück nicht funktionieren würde.
Ein köstlicher Abend mit schmissiger Musik, tollen Choreographien, brillanten Darstellern und einer Regie, die etwa schaffte, was in deutschen TV-Comedys ebenso wie auf deutschen Bühnen rar ist: schnelle, präzise Pointen – abgefeuert und angekommen. Danke!
Sie sollten sich um Karten für „Anything Goes“ im TiC-Theater bemühen. Es lohnt.
 
Weitere Informationen und Kartenbestellung unter 0202/472211 oder www.tic-theater.de