Flüchtige Katzenaffäre

von Karl Otto Mühl

Foto © Frank Becker

Flüchtige Katzenaffäre
 
Draußen ist sonniger, heller, himmelblauer Wintertag. Meine Frau ist von ihren Erledigungen zurück und sitzt neben mir.
Wir sitzen schweigend, aber jeder von uns weiß, was der Andere jetzt denkt. Nämlich, daß dies ein glücklicher Augenblick ist. Sie werden immer gewichtiger, je näher das Lebensende rückt. Es bleibt schwierig, sich damit abzufinden, daß unsere Existenzen so etwas sind wie kleine Fontänen, die sich aufbäumen und verschwinden, oder aufsteigend im Wasser, zusammenfallend und für kurze Zeit noch Kreise abbildend. Wir werden aufgefordert, damit einverstanden zu sein, zugunsten eines neuen Lebens in einer anderen Welt.
 
Beim folgenden Spaziergang gehe ich eine sanft aufsteigende Straße in der Nachbarschaft hinauf, die als Sackgasse im Wald endet. An ihrem Ende läuft eine große Katze auf mich zu. Sie hat ein weiches, gepflegtes Fell und ein Halsband mit Marke.
Ganz untypisch für Katzen sucht sie sofort Kontakt mit mir, will schmusen und gestreichelt werden. Freiwillig scheint sie nicht mehr von mir lassen zu wollen.
Ich löse mich langsam und mache sie auf die Notwendigkeit des Abschiednehmens aufmerksam.
 
Daraufhin schreitet sie langsam einer Haustüre zu, nicht ohne mir im Schreiten noch einen Blick zuzuwerfen. Ich bin sicher, daß es ein bedauernder Blick war.
 
Danach erzählt mir eine Kaffeehaus-Freundin, daß ihre unvergeßlichste Begegnung mit einem Tier bei Kriegsende während der Flucht aus Ostpreußen war. Sie war zehn Jahre alt und sprang vom Pferdewagen, als sie ein sterbendes Pferd am Wegrand sah. Sie bettete den Pferdekopf in ihren Schoß und blieb bei dem Tier, bis es tot war.
In der Nähe lagen auch sterbende, deutsche Soldaten, aber an die wagte sich die Zehnjährige nicht heran.
 
 
 
© 2015 Karl Otto Mühl