Bestsellerfressen

„Das Universum in der Nußschale“ von Stephen Hawking

von Wolfgang Nitschke

Wolfgang Nitschke - © Manfred Linke / laif
Oberstudienräte auf Zeitreisen
 
„Das Universum in der Nußschale“
von Stephen Hawking
 
*** Extended Version - extra - für Oberstudienräte ***


Meine Damen und Herren!
Es sind harte Zeiten. Und: sie werden immer komischer. Ja, es häufen sich die Tage, an denen man morgens schon vorm Aufwachen in die Kissen brüllt: ‚Nä, kennich - habich - brauchichnich!‘ Hochwasser­dank-gottesdienste und singende Sandsacksoldaten, diese falschrume All­tagspyramide, die bald umkippen wird, die vielen Videos und Computer, die Amis und überhaupt die ganze Umwelt! Oder auch nur so Typen wie dieser kranke Lehmann, der Börsenidiot von ‚Börse im Ersten’. Und die Weiber heutzutage! Oder Kachelmann. (Nee, Sven Plöger is schlimmer!) Dann eben Sven Plöger. Und wegen mir: dieser Anton aus Tirol !
Man versteht's nich mehr!
Und wenn uns allen diese komplizierten Zusammenhänge so über den Kopf wachsen wie unsern ahnungslosen Ossis im August die Pegel von Elbe, Mulde und Müritz, von Löckwitz, Rögnitz und Priegnitz, von Stieglitz und von Witzewitz ... und der Weißen Wilderitz, dann wächst eben auch in breiten Teilen des Volkes ein tieferes Interesse an „Chaostheorie, Galaxien­dichte und Teilchenbeschleuniger“, dann haben wir plötzlich wie­der ein offenes Ohr für die „Zusatzdimen­sionen der Gravitations­ausbreitung“, für die „Heisenberg­sche Unschärferelation“ und „Raumzeitkrümmungen“ aller Art. Ja, dann wollen wir plötzlich ein­fach alles wissen, ja, auch alles über diese „Vakuumfluktuationen“, „Quarks und Antiquarks“ und über sämtliche „elfdimensionalen Super­stringschwingungen“ – und natürlich, ob's da draußen im All sonst noch so intelligentes Leben gibt – wie hier bei uns in Deutschland.
Gut, oder auch in England.
In solchen Zeiten – also eigentlich immer – werden Bücher wie „Das Universum in der Nußschale“ zu rasenden Bestsellern. Wenn er gar nix mehr versteht, dann greift der Oberstudienrat zu behinderten astrono­mischen Schriftstellern, mit deren Hilfe er sich wieder als ganzer Mensch fühlen kann, dann greift er zu Stephen Hawking, dem Cambridge-Profes­sor für Metatheoretische Physik & Überkandidelte Mathe, der laut Ver­lagsoffenbarung „für seine Beiträge zur modernen Kosmologie zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat, Mitglied der Royal Society ist und bekannt für seine typische witzige Sprache.“ Und witzig isser, der Kosmologe, der moderne.
„Eine kurze Geschichte der Zeit“, sein erster Welt­knüller und Megaseller, war schon eine heavy Nuß, für die ein herkömmlicher Oberstudienrat un­endlich Große Pausen benötigte. Das muß selbst dem Supergehirn von Stephen Hawking irgendwann aufgegangen sein. Deswegen schreibt er auch im Vorwort mit seiner typischen Portion Schalk im Nacken:
„Im Laufe der Jahre kam mir ein Buch anderer Art in den Sinn, eines das leichter zu verstehen ist.“
Hahaha! Was wiederum ’ne Menge Oberstudienräte irgendwie erfahren haben müssen. Sonst wär er ja auf seinem Universum sitzen geblieben. Egal.

Um’s kurz zu machen:
Et geht um die drängende Frage, „wie sich die Allgemeine und Spezielle Relativitätstheorie mit der Quantentheorie verein­baren läßt“. Und: „ob eine fortgeschrittene Zivilisation (aus lauter Oberstudienräten) in die Vergangenheit reisen könnte“ & „ob wir auf einer Bran leben oder einfach nur Hologramme sind.“
Alles klar?
Nee, natürlich nicht. Deshalb ja auch dieses Buch.
Und damit unsre exorbitanten Schlaumeier-Amateure und akademischen Sternschnupper nicht jedes zweite kosmologische Zauberwort in Meyers Taschenlexikon nachschlagen müssen, gibt’s am Ende ein exorbitantes Schlaumeier-Glossar.
Es beginnt – kann man sich ja denken – mit dem sog. „Absoluten Nullpunkt“ – das soll übrigens „die niedrigste Temperatur“ sein, „ungefähr -273 Grad C. Bei dieser Temperatur besitzen Stoffe keine Wärmeenergie“, (was natürlich schade ist, mir persönlich aber relativ egal.) - und endet, logo, mit dem letzten Satz, dem „Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik! Zweiter Hauptsatz d. Thermo­dynamik: Gesetz, nach dem die Entropie stets anwächst.“
Ähm. Wer jetzt zufällig nicht weiß, was „Entropie“ ist, keine Panik, Herrschaften! der forscht einfach weiter im Glossar unter "Entropie".
Und dort steht geschrieben:
„Entropie: Ein Maß für die Unordnung eines physikalischen Systems. Moment! Moment! Die Anzahl jener verschiedenen Möglichkeiten, die mikroskopischen Bestandteile des Sys­tems anzuordnen, die zum selben makroskopischen Erschei­nungsbild führen.“
Was wiederum "makroskopisch" ist, das kann der liebe Laie dann unter "makroskopisch" nachlesen – wenn er dann überhaupt noch weiß, was er eigentlich wissen wollte. Ich aber stieß bei meinen weiteren Erkundungen auf die sog. „Wurmlöcher“, und weil ich mehr über diese „Wurmlöcher“ wissen wollte, weil mir plötzlich „Wurmlöcher“ irgendwie wichtiger erschie­nen, hab’ ich ... Also, „Wurmlöcher“:
„Wurmlöcher sind dünne Röhren in der Raumzeit, die weit entfernte Regionen des Universums mitein­ander verbinden. Äh, Herrschaften! Hiergeblieben und weiterlesen!! Auch wenn’s jetzt nur um blöde Wurmlöcher geht – Sie können ja wenigstens so tun als ob! Also: Wurmlöcher könnten auch Verbindungen zu Parallel- oder Baby-Universen sein sowie die Möglichkeit zu Zeitreisen bieten.“
Ja, und das war der Punkt, an dem ich hellhörig wurde, hellhörig wie ein Pädagoge. Oder besser: wie ein Oberstudienrat. Nee, nee, nicht wegen der „Paralleluniversen“! Die kennen wir ja alle zur Genüge, da muß man sich nur Edmund Stoiber anhören, höhöhö, kleiner Scherz, diesen alten „Protonen“, oder auch das Spaßgesicht von Westerwelle, die „nackte Singularität“!
(Ha! Oh, Freunde der Sonnenfinsternis und Fans der Politischen Bildung! Nun wollt Ihr bestimmt eurerseits wieder wissen, wie Stephen Hawking einen Stoiber, einen sog. Protonen definiert, wa? Nun, „ein Proton ist ein positiv geladenes Teilchen, das dem Neutron (also einem Schröder) sehr ähnlich ist und etwa die Hälfte eines Atomkerns ausmacht. Es besteht aus 3 Quarks.“
Gut. Und die nackte Singularität von Westerwelle? Nun: „Die nackte Singularität ist eine Raumzeitsingularität, die für einen fernen Beobachter noch sichtbar ist.“ Hm. Und ein näherer Beobachter – so möchte man hinzufügen – fällt dagegen auf der Stelle tot um. Egal.)
Zurück zu diesen Wurmlöchern!
(Wobei Wurmloch – wenn ich’s recht überlege – zu Westerwelle eigent­lich viel besser passen würde! Aber auch egal.)
Die meisten Lehrer werden sich wohl „Das Universum in der Nußschale“ gekauft haben, weil sie sich über die Zeitreisen informieren wollten. Und die kosmologische Wahrheit, liebe Schüler, sieht für euch denn leider Gottes dann doch eher ernüchternd aus, weil nicht nur Adam Riese sie für einigermaßen unwahrscheinlich hält. Hawking schreibt nämlich:
„Ausgehend von den oben erwähnten Dualitäts­argumenten (äh, Moment, Dualitätsargumente sind: ... ach, scheiß der Hund drauf!) halte ich die Wahrscheinlichkeit, in die Vergangenheit zu reisen und dann (Achtung! Typischer Witz a la Hawking!) seinen Großvater umbringen zu können (hahaha), für kleiner als eins zu zehn – mit einer Billion Billionen Billionen Billionen Billi­onen Nullen dahinter.“
Boh, ey, das muß man sich mal vorstellen! Ich hab ja schon Schwierig­keiten bei knapp zwei Billionen Billionen Billionen ...
Und im Übrigen, meine Damen und Herren, habe ich von diesem Univer­sum im Großen & Ganzen – und das will ich hier mal ganz offen sagen – hochgerechnet nicht einen Buchstaben auch nur annähernd kapiert.

Nachtrag:
Das mit dem Großvater war außerdem einer von diesen typisch flotten Witzen, die dem Hawking so durch die Schwarte flitzen. Und der war doch nicht schlecht, oder?!
Also, zum Schluß noch zwei typische Hawking-Knaller:
„Die Oberfläche der Erde hat keine Ränder oder Grenzen. Berichte über Menschen, die von ihr hinuntergefallen sind, dürften stark übertrieben sein.“ Hahaha, ich könnt mich kugeln!
Andererseits: Kardinal Meisner würd’ ihm wohl was andres flüstern ... Und dann noch der hier:
„Im Augenblick lassen Computer noch keinerlei Anzeichen von Intelligenz erkennen. Das ist keine Überraschung, denn unsere heutigen Rechner sind weniger komplex als das Ge­hirn eines Regenwurms, und der ist nicht gerade für seine Geistesblitze bekannt.“
Na, da können unsere Oberstudienräte aber aufatmen!
Und für Westerwelle gilt: Wenn ein Regenwurm schon so dämlich ist – wie geistreich muß dann ein Wurmloch sein?
Gute Nacht.

(Aug. 2002)