Schwärende Wunden Raik Knorscheidt inszeniert im Wuppertaler TiC-Theater
„Der Vorname“ Komödie von Alexandre de la Patellière und Matthieu Delaporte Deutsch von Georg Holzer
Inszenierung: Raik Knorscheidt – Bühne: Iljas Enkaschew – Kostüme: Mariola Kopczynski
Besetzung: Pierre: Alexander Bangen - Vincent: Robert Flanze – Claude: Leon Gleser – Elisabeth: Jacqueline Vollmer – Anna: Elisabeth Wahle
Hahnenkämpfe
Es braucht mitunter nur einen geringen Anlaß, um aus Freundschaften Hahnenkämpfe werden zu lassen, nur einen kleinen Anstoß, um versteckten Gefühlen und unangenehmen Tatsachen Raum zu geben, nur das Ende eines Fadens, um den ganzen Pullover aufzuribbeln. Die höchst geistreiche zeitgenössische französische Komödie „Der Vorname“, ein virtuoser verbaler Schlagabtausch, öffnet mit dem Fallenlassen von Masken, dem Bekennen von Abneigungen, dem Aussprechen unterdrückter Wahrheiten die Druckventile aufgestauter Emotionen. Es kommt dabei gar nicht so genau darauf an, was hier wen an wem stört, es kommt darauf an, daß alle mal die schützende Schicht der Wohlanständigkeit durchbrechen und sich um die Ohren hauen, was sie längst einmal gesagt haben wollten/sollten.
Eine Lawine von Emotionen
Fünf durchaus erwachsene, gebildete Menschen, allesamt Intellektuelle, der Literaturprofessor Pierre und seine Frau Elisabeth, Lehrerin, deren
Zwar wird nach Annas Eintreffen der „Adolphe“-Scherz bald aufgelöst, doch sind mittlerweile im Streitgespräch so viele Hemmungen gefallen, ist die Stimmung über Kreuz so explosiv geworden, sind so viele Peinlichkeiten aufgedeckt und so viele Kränkungen ausgesprochen worden, daß die gegenseitigen Schmähungen wie Dominosteine fallen. Als dann Claude auch noch eine delikate Affäre im engsten Kreis zuzugeben genötigt wird, brechen alle Dämme es kommt zu bösen Worten, Beleidigungen und sogar zu körperlicher Gewalt. Elisabeth Wahle glänzt im Stimmungs-Wechsel von besorgt schützend, impulsiv zornfunkelnd bis entschlossen handelnd, eine Anna, die ihrem Vincent moralisch in seiner Unzulänglichkeit überlegen ist.
Hervorragend besetzt
Raik Knorscheidt hat dieses an rasch wechselnden Fronten Schlag auf Schlag geführte Wortgefecht auf den Punkt besetzt und mit so viel Verve inszeniert, hält den Handlungsfaden so straff, daß in den zweimal 45 Minuten nicht für den Moment eines Lidschlags die Aufmerksamkeit des Publikums absinken kann. Man klebt an den Lippen und Bewegungen seiner fünf Personen im Raum, folgt dem blitzschnellen Schlagabtausch und kann sich an den wunderbaren Dialogen schier besoffen hören. Alexander Bangen, den man vor nicht allzu langer Zeit in „Spiels noch einmal, Sam“ schon einmal als leicht zerstreuten, doch eloquenten Intellektuellen ebenso brillant erleben konnte (übriges ebenfalls mit Robert Flanze als Dialogparner), ist seine Rolle des Pierre mit geistreicher Argumentation und plötzlichen Ausbrüchen förmlich auf den Leib geschrieben. Robert Flanze, zuletzt als Hamlet im direkten Zusammenprall mit Bangen als Claudius, strahlt die mit Humor überspielte aggressive dynamische Körperlichkeit Vincents aus. Leon Gleser schließlich, das „stille Wasser“, ist in der freundlichen Zurückhaltung Meister.
Eine Sternstunde
Das Stück und seine straffe Umsetzung verfügen über ein hohes Maß an humorvoller Intellektualität, über echte Dramatik und reichlich Konfliktstoff. Die schnelle Pointe und das Lachen, das im Halse stecken bleibt, gehen Hand in Hand. Weil aber solche heftigen Ausbrüche und bis an die Grenze gehenden Auseinandersetzungen, das Ausspeien quersitzender Gedanken und Gefühle durchaus auch reinigende Wirkung haben können, fällt im Theater der Vorhang über einer versöhnlichen Szene. Man kann noch hoffen.
Eine vorzügliche Regiearbeit mit einem hochmotivierten Ensemble, das sich nichts schenkt, dafür dem Publikum einen brillanten Abend intelligentester Unterhaltung.
Noch eins – ein Appell ans Publikum: überschätzen Sie nicht Ihre Kinder, nehmen Sie die unter 14 Jahren nicht mit in die Vorstellung, auch wenn „Komödie“ auf dem Etikett steht. Die Kleinen werden vom Stück nichts haben (wie in der Premiere erlebt), weil sie es nicht verstehen können. Für ein aufgeschlossenes Publikum allerdings eine Sternstunde, der wir unsere Auszeichnung geben: den Musenkuß.
Weitere Informationen: www.tic-theater.de
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