Hahnenkämpfe

Die Gesellschaftskomödie „Der Vorname“ im Wuppertaler TiC-Theater

von Frank Becker

v.l.: Robert Flanze, Leon Gleser, Alexander Bangen - Foto © Martin Mazur

Schwärende Wunden
 
Raik Knorscheidt inszeniert im Wuppertaler TiC-Theater
„Der Vorname“

Komödie von Alexandre de la Patellière und Matthieu Delaporte
Deutsch von Georg Holzer
 
Inszenierung: Raik Knorscheidt – Bühne: Iljas EnkaschewKostüme: Mariola Kopczynski
Besetzung:  Pierre: Alexander Bangen - Vincent: Robert Flanze – Claude: Leon Gleser – Elisabeth: Jacqueline Vollmer – Anna: Elisabeth Wahle
 
 
Hahnenkämpfe
 
Es braucht mitunter nur einen geringen Anlaß, um aus Freundschaften Hahnenkämpfe werden zu lassen, nur einen kleinen Anstoß, um versteckten Gefühlen und unangenehmen Tatsachen Raum zu geben, nur das Ende eines Fadens, um den ganzen Pullover aufzuribbeln. Die höchst geistreiche zeitgenössische französische Komödie „Der Vorname“, ein virtuoser verbaler Schlagabtausch, öffnet mit dem Fallenlassen von Masken, dem Bekennen von Abneigungen, dem Aussprechen unterdrückter Wahrheiten die Druckventile aufgestauter Emotionen. Es kommt dabei gar nicht so genau darauf an, was hier wen an wem stört, es kommt darauf an, daß alle mal die schützende Schicht der Wohlanständigkeit durchbrechen und sich um die Ohren hauen, was sie längst einmal gesagt haben wollten/sollten.
 
Eine Lawine von Emotionen
 
Fünf durchaus erwachsene, gebildete Menschen, allesamt Intellektuelle, der Literaturprofessor Pierre und seine Frau Elisabeth, Lehrerin, deren

v.l.: Robert Flanze, Alexander Bangen - Foto © Martin Mazur
Bruder, der Immobilienmakler Vincent und dessen Gattin Anna, Geschäftsfrau, sowie der Orchestermusiker Claude (Posaunist) treffen sich zu einem gemütlichen Abendessen bei Pierre und Elisabeth. Die Männer sind alte Schulfreunde. Man wird wie stets über Gott und die Welt reden, Späße machen, gut essen und viel Wein trinken. Alles steht unter dem Vorzeichen der Harmonie, nicht zuletzt, weil Anna in fünften Monat schwanger ist und jetzt feststeht, daß es ein Junge wird. Wie er heißen soll? „Adolphe“ verkündet Vincent (dem Robert Flanze eine gelungen grenzwertige Oberflächlichkeit gibt) dem linksintellektuellen Pierre (Alexander Bangen in souveräner intellektueller Abgehobenheit) – und löst damit (notabene: ein Scherz, so „geschmackvoll“ wie andere seiner derben Späße) eine Lawine aus, die auch die hinzukommenden Claude und Elisabeth mitreißt. Wie kann man seinen Sohn „Adolf“ nach dem „Führer“ nennen!? Zwar bemühen sich Claude und Elisabeth die Wogen zu glätten, aber einmal losgetreten, brechen Wunden auf und Konflikte sich Bahn. Leon Gleser, fliegen als stillem, sanftem, Konflikte zu vermeiden trachtendem Künstler die Herzen zu und Jacqueline Vollmer gibt der unter Karriereverzicht leidenden, in ihren Leistungen unterschätzte Haufrau, Mutter und Lehrerin schmerzlich glaubhafte Züge,
 
Zwar wird nach Annas Eintreffen der „Adolphe“-Scherz bald aufgelöst, doch sind mittlerweile im Streitgespräch so viele Hemmungen gefallen, ist die Stimmung über Kreuz so explosiv geworden, sind so viele Peinlichkeiten aufgedeckt und so viele Kränkungen ausgesprochen worden, daß die gegenseitigen Schmähungen wie Dominosteine fallen. Als dann Claude auch noch eine delikate Affäre im engsten Kreis zuzugeben genötigt wird, brechen alle Dämme es kommt zu bösen Worten, Beleidigungen und sogar zu körperlicher Gewalt. Elisabeth Wahle glänzt im Stimmungs-Wechsel von besorgt schützend, impulsiv zornfunkelnd bis entschlossen handelnd, eine Anna, die ihrem Vincent moralisch in seiner Unzulänglichkeit überlegen ist.

 
Hervorragend besetzt
 
Raik Knorscheidt hat dieses an rasch wechselnden Fronten Schlag auf Schlag geführte Wortgefecht auf den Punkt besetzt und mit so viel Verve inszeniert, hält den Handlungsfaden so straff, daß in den zweimal 45 Minuten nicht für den Moment eines Lidschlags die Aufmerksamkeit des Publikums absinken kann. Man klebt an den Lippen und Bewegungen seiner fünf Personen im Raum, folgt dem blitzschnellen Schlagabtausch und kann sich an den wunderbaren Dialogen schier besoffen hören. Alexander Bangen, den man vor nicht allzu langer Zeit in „Spiels noch einmal, Sam“ schon einmal als leicht zerstreuten, doch eloquenten Intellektuellen ebenso brillant erleben konnte (übriges ebenfalls mit Robert Flanze als Dialogparner), ist seine Rolle des Pierre mit geistreicher Argumentation und plötzlichen Ausbrüchen förmlich auf den Leib geschrieben. Robert Flanze, zuletzt als Hamlet im direkten Zusammenprall mit Bangen als Claudius, strahlt die mit Humor überspielte aggressive dynamische Körperlichkeit Vincents aus. Leon Gleser schließlich, das „stille Wasser“, ist in der freundlichen Zurückhaltung Meister.


v.l.: Elisabeth Wahle, Robert Flanze, Leon Gleser, Alexander Bangen, Jacqueline Vollmer - Foto © Martin Mazur
 
Eine Sternstunde
 
Das Stück und seine straffe Umsetzung verfügen über ein hohes Maß an humorvoller Intellektualität, über echte Dramatik und reichlich Konfliktstoff. Die schnelle Pointe und das Lachen, das im Halse stecken bleibt, gehen Hand in Hand. Weil aber solche heftigen Ausbrüche und bis an die Grenze gehenden Auseinandersetzungen, das Ausspeien quersitzender Gedanken und Gefühle durchaus auch reinigende Wirkung haben können, fällt im Theater der Vorhang über einer versöhnlichen Szene. Man kann noch hoffen.
Eine vorzügliche Regiearbeit mit einem hochmotivierten Ensemble, das sich nichts schenkt, dafür dem Publikum einen brillanten Abend intelligentester Unterhaltung.
Noch eins – ein Appell ans Publikum: überschätzen Sie nicht Ihre Kinder, nehmen Sie die unter 14 Jahren nicht mit in die Vorstellung, auch wenn „Komödie“ auf dem Etikett steht. Die Kleinen werden vom Stück nichts haben (wie in der Premiere erlebt), weil sie es nicht verstehen können. Für ein aufgeschlossenes Publikum allerdings eine Sternstunde, der wir unsere Auszeichnung geben: den Musenkuß.
 
Weitere Informationen:  www.tic-theater.de