„Die Straße des 13. Januar“
- ein Geschenk des Führers
Wie ich wegen Hitler den Arsch versohlt bekam.
Ich weiß noch, wie im Frühjahr 1937, also gleichzeitig mit meinem Schulanfang, die großdeutsche Geschichte zum zweiten Mal in unsere Dorfidylle hereinbrach, diesmal in Gestalt riesiger Lastwagen, schwerer Bagger und langarmiger Baukräne. Ich erinnere mich, wie binnen kurzer Zeit auf der Gemeindewiese drei oder vier übergroße Bergkegel von rotem Sand und hellen Kieselsteinen aufgeschüttet wurden.
Ich weiß noch sehr gut, wie wir Kinder, wenn auf Hitlers Baustelle Feierabend war, unseren Spaß daran hatten, auf die riesigen Kiespyramiden hinaufzuklettern und auf dem Hintern herunterzurutschen. Und wie hätte ich vergessen können, wie ich abends nach Hause kam, wie sich Mutter erzürnte und Vater seinen Gürtel von der Hose losmachte und mich verdrosch, weil meine Hose ganz dreckig war und hinten ein großes Loch hatte.
Wie vor der Wirtschaft Brill der „status quo“ verbrannt wurde
Die ganze Sache hatte mindestens schon zwei Jahre vorher angefangen, in meinen ersten Erinnerungen etwa so:
Ich spüre die warme Hand meines Vaters; wir biegen von der Hofstraße um die Ecke und sehen, wie an der Hauswand der Wirtschaft „Brill“ eine riesige Puppe aus Pappe mit einem dicken Strick aufgehängt ist. Es stehen viele Leute drum herum, und gerade sind ein paar Männer in braunen Hemden und eigenartiger Kopfbedeckung dabei, auf die angelehnte Leiter zu steigen, um aus Eimern etwas Flüssiges auf die Puppe zu kippen. Auf einmal beginnt die Puppe an lichterloh zu brennen. Und da haben die Männer auf der Leiter den Strick durchgeschnitten, die Puppe fällt zu Boden fällt und geht dort erst recht völlig in Flammen auf.
Die Leute, die damals dabei standen, hatten sie einfach brennen lassen. Es sah sogar aus, als wären sie froh, daß die Puppe verbrennt. Und so wenig wie ich mit meinen vier Jahren verstehen konnte, daß große Leute eine Puppe verbrenne, so wenig verstand ich das Wort, das die Leute um die brennende Puppe herum immer lauter riefen: „Nieder mit dem Status quo! - Nieder mit dem Status quo!“
Mein Vater meinte auf meine Frage hin: „Das wirst du erst verstehen, wenn du groß bist!“
Wie hätte ich auch damals, vielleicht eben so wenig wie diese Braunhemden, welche die große Puppe verbrannten, verstehen können, daß jener feurig-symbolische Akt der Anfang des Weges war, der uns Saarländer in die totalitäre Gleichschaltung und bald darauf in die Schrecken des Krieges führte.
Nun, der „Status quo“ beinhaltete jenen, nach dem I. Weltkrieg von den Siegermächten herbeigeführten Zustand, durch den das neu geschaffene „Saargebiet“ vom Reich getrennt und unter Schutz und Hoheit des Völkerbundes gestellt worden war.
Die Leute also, die den „Status quo“ symbolisch in Gestalt einer häßlichen Puppe verbrannten, waren Mitglieder oder Anhänger der „Deutschen Front“, die dann am 13. Januar 1935 für die Rückgliederung des Saargebietes an das Deutsche Reich und gegen die Beibehaltung des bisherigen Zustandes (Status quo) votierten. Die Rückgliederung erfolgte am 1.März 1935.
Wenn sich der Saarländer heute wie je zuvor als Deutscher bekennt und an Deutschlands Schicksal gebunden fühlt, so freut es ihn gleich wohl, daß seine saarländische Heimat näher zu Paris als zu Berlin gelegen ist.
„Saarland. Eine europäische Geschichte“
Wanderausstellung über die Volksabstimmungen 1935 und 1955
Zu sehen:
16.6.-10.7. Paris - 20. 7.- 30. 8. Luxemburg - 1.10.- 30. 12. Saarbrücken
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