Umgang mit sensiblen Themen

von Fritz Eckenga

Foto © Frank Becker
Umgang mit sensiblen Themen
 
Der gute Mensch quatscht um das Thema gern herum.
  Und zwar derart sprachschleimabsondernd, daß im glitschigen Umgang mit ihm das Tragen dickprofiligen Schuhwerks empfohlen sei.
  Äußerst unfallträchtig ist beispielsweise das Betreten der Büros gutmenschelnder Radio- und Fernsehredakteure, die sich ihrer „Verantwortung dem Programm und insbesondere dem Zuschauer/ Zuhörer gegenüber ganz bewußt annehmen“.
  Nähert man sich einem Vertreter dieser Spezies, etwa um als von ihm auserkorener Autor „ein Stückchen für die Vormittagssendung - sagen wir mal so zwei, drei Minuten“ zu besprechen, hat man darauf gefaßt zu sein, daß er den „angedachten Beitrag andiskutieren, die Inhalte ein Stückweit ausloten und die Problematik vom Grundsätzlichen her mal differenzieren“ will.
  Spätestens nach solch samiger Eröffnung kann der Auftragnehmer sicher sein, daß „das Thema um eine gesellschaftliche Problerngiruppe“ kreist, daß es sich um „eine innerhalb des soziostrukturellen Geflechts an den Rändern befindende Minderheit“ dreht. Mit anderen Worten: Der Programmhaftpflichtige will den Autor auf einen Beitrag einstimmen, in dem wie auch immer Ausländer, Juden, Roma, Sinti, Schwule, Lesben, Behinderte das Problem darstellen.
  Das Problem ist nur, daß der gute Vorstehmensch der Redaktion „aus der Verpflichtung gegenüber allen Rezipienten heraus“ zwanghaft die Verpflichtung verspürt, sein Autorenopfer für „die Gesamtproblematik zu sensibilisieren“.
    Will sagen: „Unser Programm sehen und hören nicht nur Ausländer, Juden, Sinti, Roma, Schwule, Lesben, Behinderte..., sondern auch die, die mit dem Ermorden, Verfolgen, Ächten und Beleidigen dieser Menschen nicht nur kein Problem haben, sondern es mitunter selbst ganz gerne tun. Mein Gott, wir können sie uns schließlich nicht aussuchen.“
    Sagt aber: „Selbstverständlich müssen wir das Problem in seiner ganzen Tiefe angehen. Wir dürfen aber nie das Empfinden dafür verlieren, daß wir gerade bei der konkreten Benennung etwa von Untaten gegen unsere ausländischen Mitbürger nicht denen in die Hände spielen, die möglicherweise immer noch fremdenfeindliche Ressentiments hegen. Gerade die gilt es doch herüber auf die richtige, auf unsere Seite zu ziehen. Und deswegen sollten wir uns eines einfühlsamen Tones befleißigen. Vermeiden sollten wir jeden Anflug von Ironie. Die wird immer nur von den richtigen Leuten richtig verstanden. Und von allen anderen falsch.“
    Zugegeben, die wörtlichen Reden sind in dieser Massierung nur noch selten zu hören. Für derart ausschweifende Absonderungen findet selbst der verschnarchteste öffentlich-rechtliche Gutmensch im brutalhektischen Tagesgeschäft - „mein Gott, das sind die Neunziger“ - kaum noch Zeit.
    Deswegen am Ende schnell noch die topaktuell gültige Kurzsensibilisierung für alle, die es bis hierhin geschafft haben: „Wir können mit diesen sensiblen Themen nicht sensibel genug umgehen“
    Können „wir“ auch nicht.  
 


Aus: „Kucken ob´s tropft“ – Edition TIAMAT