Circulus vitiosus

von Joseph Roth

Klingt irgendwie vertraut...
 
Deutschland hat einen Sparkommissär, einen Devisenkommissär, einen Währungskommissär. Der erste hat die undankbare Aufgabe, durch Ersparnisse in den öffentlichen Betrieben, die Ausgaben des Staates den Einnahmen anzupassen, während die Wurzel des Übels doch ganz woanders liegt. Der zweite hat sich unsterblich gemacht durch seine Razzien nach Devisen in den Berliner Kaffeehäusern, wo ein großer Aufwand schmählich vertan wurde. Der dritte hat sein Amt vor kurzem angetreten, und er muß erst zeigen, was er zu leisten vermag. Seine Aufgabe ist die größte von allen, denn ohne stabile Währung kann Deutschland nicht gesunden. Das Währungschaos frißt die Kraft und die Nerven seiner Bewohner, es schafft soziale Unruhen und Arbeitslosigkeit, es untergräbt die Moral. Es führt in einem Augenblick zu Dumpingpreisen, und im nächsten treibt es die Waren über den Weltmarktpreis. Es hindert den Ausländer nach Deutschland zu kommen, und es hält alle Deutschen vom Ausland fern. Vor allem aber verschärft es die außenpolitische Lage, da es die Zahlungen der Reparationen unmöglich macht. Hier aber schließt sich der furchtbare Circulus vitiosus, in den Deutschland geraten ist.
 
 
Joseph Roth im „Prager Tagblatt“, Dezember 1923