Bestsellerfressen

„Der Untergang“ von Joachim C. Fest / Bernd Eichinger

von Wolfgang Nitschke

Wolfgang Nitschke - © Manfred Linke / laif
Feng Shui im Führerbunker
 
„Der Untergang“
von Joachim C. Fest / Bernd Eichinger
 
Liebe Leser!

Am Anfang von seinem „Untergang“ hat der bekannte Hitler-Intimus Joachim C. Fest, Ex-FAZ- und Fachmann für die "Dunkle Zeit", extra noch mal kurz die "dunkle Zeit", den langen Vorlauf zur großen Bunker-Apokalypse, in Gedanken durchexerziert:
Volk wählt Führer zum Führer wg Schande, Schmach, Versailles und Straßenkrawall, fieser Führer verführt Volk daraufhin 6 Jahre lang mit fiesen Tricks, begeht aber ab Sommer ’39 eklatante strategische Fehler und landet seit Stalingrad kolossalen Flop nach dem anderen. Die Zeiten werden här­ter, Hitler immer ruppiger, viele müssen sterben, eine einzige deutsche Katastrophe, und hätte sich das deutsche, gute Volk dagegen gewehrt, hätte der Führer es ebenfalls erschossen. Und dann kommen plötzlich die Alliierten mit ihrem alliierten Bombenterror und verwüsten das ganze Reich, und am Ende ist vor allem das deutsche, gute Volk am Ende.
Das ist die geklitterte Schmierseife, auf der der liebe J., Joachim Fest, den eigentlichen Plot, die letzten 12 Tage des Teufels unter der Erde, inszeniert: die große deutsche Opferkomö­die, seine phänomenale Bunker-Oper „Der Untergang“.

Und die geht dann so:
Draußen das übliche Russengeböller und Stalingeorgel, während unten im Hades der Oberteufel Adi mit dem Unterteufel Goebbels und dessen Nebenteufelin Magda in wilder Panik physisch & psychisch zusehends verlottern (Eigelb auf der Jacke und am Abend noch im Morgenmantel), wirres Zeugs erzählen und schließlich sich alle die Kugel geben. Was zwar tragisch, aber abzusehen war. Und deshalb tun einem auch die 29 anderen Menschen, die da mit dem Teufel im Keller hocken müssen, so unendlich leid! Man fiebert richtiggehend mit, wenn sie ver­zweifelt ver­suchen, den Führer zu überreden, doch noch aus der Hölle raus nach Berchtesgaden zu fliegen oder vielleicht noch mal mit den Russen zu reden oder sonst irgendwie das Beste draus zu machen. Aber es nützt alles nix. Kein Jammern und kein Bitteln, kein Flehen und kein Betteln. Keiner schafft es. Keiner!
Nich mal „Onkel Albert“, „das Organisationsgenie“, „der gute Speer“, „der Künstlerarchitekt“ (Hauptkriegsverbrecher, verantw. u.a. für die sog. Entjudung Berlins, 8 Millionen Zwangsarbeiter, 500 000 KZ-Häftlinge und das luzide Geschichtsverständnis von Joachim Fest; nach Nürnberg 20 Jahre lang Blumengießen, Kassiber­verschicken und Hofrundgang in Spandau und im Jahre 1981 dann in London friedlich als Bestsellerautor zu den Würmern).
Ebenso wenig „der getreue Heinrich, Onkel Himmler“ (Reichs- führer SS, Hauptkriegsverbrecher, am 23.5.’45 dann selbst­bestimmtes Ableben durch Überdosis Zyankali) oder der nette Familienarzt „Dr. Schenk“ (SS-Obersturmbannführer, verantwortlich für die Deutsche Reichs­ernährung & Menschenversuche im KZ Mauthausen; pünktlich ab '55 Wiedergutmachungsfachmann für Hungerschäden beim Heim­kehrerbund und 1998 unbehelligt verstorben, wahrscheinlich an Völlegefühl) oder der sympathische „Oberarzt Werner Haase“ (SS-Obersturmbannführer, Mitglied der Leibstandarte SS Adolf Hitler, 1947 in einem Moskauer "Hotel" – in aller Stille – entschlafen) oder der junge Frauenfeger, „des Führers Schwager Fegelein“ (SS-Gruppenführer, Heini Himmlers reizender Verbindungsoffizier im Hitler-Hauptquartier; am 28.4.45 wegen Suff und Verrat direkt an Ort & Stelle im Suff und Bunkergarten selber sonderbehandelt), ferner der taffe Opa „Mohnke“ (General, SS-Gruppenführer der Leib- standarte Adolf Hitler, diverse Massenerschießungen im Osten; später dann irgendwie verschollen), der flotte „Burgdorf“ (General der Infanterie, überredete 1944 den Wüstenfuchs und General­feldmarschall Rommel zum selbstgewählten Abgang, 1.5.’45 dann selber selbstgewählter Abgang), der gutartige „Krebs“ (General, erfolgreicher Russland- & Partisanen- experte; ’45 Suizid) und der etwas naive „Wilhelm LaKeitel“ (Chef vom Oberkommando der Wehrmacht, Unterschrift unter alles, was an Kriegsverbrechen Rang und Namen hatte; 16.10.’46 dann Genickbruch in Nürnberger Turnhalle).
Und noch der fesche Generalissimo „Alfred Jodl“ (Chef d. Führungs- stabes der Wehrmacht; Rest siehe: Keitel), der feine „Leibarzt Ludwig Stumpfegger“ (SS-Obersturmbannführer, langjähriger Lieblingsarzt von Hitler und Himmler, schwerer Esoteriker, Menschenversuche im KZ Ravens­brück; ab 2.5.’45 selber tot) und der fröhliche Ernst, „Dr. Grawitz“ (Reichsarzt SS, SS-Obergruppenführer, General der Waffen-SS und Präsident des Deutschen Roten Kreuzes;  am 24.5.’45 ebenfalls dann leiser Abgang mit Zyankali) ...

... Sie sehen, liebe Leser,
eine Versammlung herzensguter Menschen und besorgter Bürger und Patrioten, mit denen ein Satan wie Adolf Hitler selbstverständlich nichts anfangen konnte ...
... ach ja, und dann waren da noch unterm Beton der fixe Fliegergeneral „Ritter Robert von Greim“, das Teufels­weib & Flieger-Aas „Hanna Reitsch“ und, hey, nicht zu vergessen: die süße Tippse des Führers, die etwas scheue, 22 Jahre junge, traurige „Traudl Junge“, im Film wunderbar gespielt von der süßen, etwas scheuen, jungen, traurigen Alexandra Maria Lara. Und an die 15 andern vom Führer traurig Getäuschten.

Liebe Operettenfreunde!
Noch irgendwelche Fragen?
Ähm, ich persönlich nicht. Aber vielleicht der Herr Eichinger, der Bernd, „ohne den der deutsche Film kaum vorstellbar ist und dessen Gespür für populäre Mythen (!) und der sichere In­stinkt (!!) für publikumsträchtige Stoffe (!!!) ihn unan­gefochten zu dem Produzenten gemacht hat, der die deutsche (!!!!) Filmindustrie verkörpert. („Die unendliche Geschichte“, „Der Schuh des Manitu“ (!!!!!) etc.).“ So der Herausgeber „Michael Töteberg“ (!).
Na denn, Volksgenosse Eichinger! Dann schießen se mal los! Mit Ihrer Frage:
„Natürlich ist die Frage berechtigt: Wie nähert man sich dieser Figur? Es ist gefährlich, Hitler von vorn­herein als Psychopathen oder Spinner zu portraitie­ren, als einen Mann, der nicht alle Tassen im Schrank hat.“ Genau.
Da passt es schon besser, gleich einen Produzen­ten zu nehmen, der nicht alle Tassen im Schrank hat:
„Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir unsere Ge­schichte selber beleuchten, mit den Mitteln, die wir zur Verfügung haben. Unser Film ist authentischer als alle vorherigen:
Ein solches Projekt muss aus Deutschland heraus gemacht werden.“
Heil Deutschland.
Wir haben verstanden.
Gute Nacht.

Nachtrag:
Wie wir gesehen haben, läßt „Der Untergang“ ja keine Grausamkeit aus. Selbst die Ermordung der „Schäferhün­din Blondi“ mittels Giftkapsel durch die teuflische Zitter-Hand des Führers wird minutiös und einfühl- sam usw. Und da fällt mir dann doch noch eine Frage ein: Wo, um alles in der Welt, waren in diesem Monsterstreifen eigent­lich die fünf süßen, kleinen Welpen von Schäferhündin Blondi abgelieben?
Tja, liebe Leser, und das, ja, das kann man wiederum nur bei Joachim Fest nachlesen! Die sind nämlich hinterrücks, sinnlos, mies und gemein von einem „Feldwebel Tornow erschossen worden“! Aber für eine solche Szene ist „Der Neue Deutsche Film“ wohl noch nicht reif genug.

Okt. 2005