Der Spott der kleinen Dinge

Gestörtes Verhältnis

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Gestörtes Verhältnis
 
Neulich hatte ich eine Störung. Ich konnte nicht anrufen, obwohl man mich anrufen konnte. Also so ein bißchen wie Gott sich fühlt, wenn kleine Leute zu ihm beten: Man kriegt alles mit, aber die Antworten gehen andere Wege. In meiner unfreiwilligen Gottähnlichkeit rief ich die Störungsstelle an.
    Ich habe als Student mal in einer Störungsstelle gearbeitet, ich weiß, wie es dort zugeht. Ich lernte damals, daß man nie das Wort Problem benutzen dürfe. Probleme gibt es in der Welt der Störungsstellen nicht. Dadurch ist es plausibler, wenn Hilfe ausbleibt. Weil man ja nie ein Problem kannte.
    Mein Studium ist ewig her, ich habe praktisch die Seiten gewechselt. Heute habe ich viele Probleme, eines davon heißt Störung.
    Ich rief von einem heilen Telefon die Störungsstelle an. Ein Automat ging dran. Ich sollte einer automatischen Frauenstimme sagen, was ich wolle. Ich sagte Störung. Sie verstand. Dann sagte mir die Frauenstimme, der nächste freiwerdende Beraterplatz wäre für mich reserviert, ich käme gleich dran.
    Meine Erfahrungen mit Frauen, die mir versprechen, daß ich gleich dran bin, sind – ohne Sie hier mit Details langweilen zu wollen – negativ. So auch hier: Nachdem ich 15 Minuten einer akustischen Hypnosemühle abgelauscht hatte, daß gleich jemand Zeit für mich haben würde, änderte sich plötzlich der Zungenschlag, und es hieß, ich solle zu einem späteren Zeitpunkt anrufen.
    Ich habe das sechsmal erlitten; gegen elf kam ich durch. Da sagte mir eine echte Frauenstimme, es sei für mich viel besser, morgen früh ab acht anzurufen, weil sie mich dann auch mit einem Techniker verbinden könne.
    Ich schaltete auf Handbetrieb um und ging in einen Telefonladen. Ein Mann mit weißem Hemd, roter Nase und einem nach Rindsrouladen aussehenden Soßenfleck auf der Brust sagte, was ich wolle, ginge nur per Telefon. Er könne nichts für mich tun. Ich wünschte dem sprechenden Soßenfleck alles Gute. Daheim war das Telefon immer noch tot.
    Als es klingelte, waren alte Bekannte aus Bautzen dran. Ich hörte sie, sie hörten mich. Überraschenderweise war das Verhältnis ungestört.  Sie wünschten mir frohe Weihnachten und lachten über meine Telefongeschichten – vertrauter Schrecken vor 1989.
    Lange über den Aufbau West diskutiert.
    Sehr konkrete Vorstellungen geäußert.



© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.