Der Spott der kleinen Dinge

Der Tag, an dem ich Merkel war

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Der Tag, an dem ich Merkel war
 
Neulich habe ich mich als Angela Merkel verkleidet. Es war Rosenmontag gegen 12 und nicht viel Zeit. Früher habe ich mehr Aufwand betrieben: Ich bin schon als Urmel gegangen, als Roberto Blanco und als Reibekuchen („heiß und fettig“, haha). Im Alter macht man sich einfach nicht mehr die Arbeit.
     Merkel war verhältnismäßig unaufwändig, ich setzte eine Perücke auf und zog die Mundwinkel nach unten. Alle zehn Minuten sagte ich etwas in der Art von „Wir haben viel erreicht“; die Illusion war perfekt.
     Unsere Party lief ohne Konflikte. Nach dem dritten Sekt verwechselte ich in meiner Tischrede Gauck mit Gysi, der Scheich links von mir lachte höhnisch. Ich sagte, dass wir viel erreicht hätten. Niemand protestierte, niemand fragte nach Wulff. Wenn du als Kanzlerin eine Party gibst, wollen die Leute eher Privates wissen, was du kochst und wo du deine Nylons kaufst. Ein Matrose aus Marl schaute in meine Flurschublade. Da sind Tempos drin. Ich schenkte ihm eins, als Dank für 21 Jahre Soli. Mein bester Freund ging als Superman. Wir machten ein Foto: Superman und Merkel, ein schönes Symbol für Parteiprogramme in Theorie und Praxis.
     Als die Gäste gegangen waren, klingelte das Telefon. Es war ein Bekannter. Er ist Physiker, entsprechend hatte er zwar vergessen, daß Rosenmontag war, quoll aber über vor Begeisterung, weil Forscher in einer Erdhörnchenhöhle im Permafrost die Samen einer 31 000 Jahre alten Primel gefunden haben. „Die Primel blüht“, rief er berauscht durch den Hörer, während ich meine Merkel-Perücke ermattet auf eine leere Calvados-Flasche hängte. Ich wollte ihm sagen, daß wir viel erreicht hätten, drückte aber den falschen Knopf. Der Physiker war weg. Ich dachte laut an die alte Primel und fragte, ob man bald Neandertaler züchten kann. Meine Frau sah mich ruhig an und sagte: „Das ist nicht nötig.“
 



© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.