Aus meinem Zettelkasten (4)

Interessante Beobachtungen

von Erwin Grosche

Erwin Grosche
Foto © Uwe Nölke

Aus meinem Zettelkasten 4

 

1. Herr Wiesner staunte. In der Bäckerei Zarnitz wurden „prall gefüllte Berliner“ angeboten.  Wiesner dachte nach. War es denn so erstrebenswert, daß ein Berliner prall gefüllt ist? Nach einem herzhaften Biß spritzt die Marmelade oft unkontrolliert heraus und besudelt Genießer und Umgebung. Herr Wiesner, um das noch mal deutlich klarzustellen, hat nichts grundsätzlich gegen Marmelade in Berlinern. Im Gegenteil, Berliner sollten durch eine Füllung das Geschmackserlebnis steigern, aber alles hat seine Grenzen.

2. Doktor Dicht ergriff das Wort: „Unglückliche Menschen sind oft sehr häßlich und wenig unterhaltsam. Es macht keinen richtigen Spaß mit ihnen zusammen zu sein. Sie jammern dauernd und klagen herum. Ich kannte mal eine unglückliche Frau, die beschimpfte uns alle auf Englisch und nervte mit ihren kaum zu übersetzenden Flüchen.“ Wir schauten alle aus dem Fenster und ließen uns nicht von Doktor Dicht provozieren. Schließlich sagte Hedwig: „ I hate me“,  und lachte dabei, als wäre sie glücklich.

3. Ich mag das Geräusch nicht, wenn sich mein Computer auflädt. Es erinnert mich an das Abreißen eines Pflasters von empfindlicher Stelle.

4. Man sieht den Schmutz erst, wenn man ihn entdeckt.

5. Herr Wiesner saß unter seinem Zahnarzt, der ihn mit einem schönen Satz ablenkte: „Wenn der Topf einen Hut aufhat, wird das Wasser schneller heiß.“

6. Ich mußte mit einem neuen Schicksalsschlag leben. Meine Dusche wurde launisch. Sie besprühte nur in den ersten Minuten heiß, dann wechselte die Wassertemperatur und das Wasser wurde unerträglich kalt. Zuerst wollte ich einen Handwerker einschalten, einen Spezialisten, der mir das Vergnügen des heißen Dauerduschens wieder ermöglichte, als mich dieses heiß/kalte Wechselbad anfing zu fordern und, ja, zu erfreuen. Man mußte nur einfach diesen Duschgang nach Canossa besser vorbereiten. Meine Gedanken arbeiteten messerscharf: Wenn mir nur die ersten zwei Minuten blieben, um wirklich heiß duschen zu können, dann wollte ich in dieser Zeit wenigstens meine Haare gewaschen haben. Mein Kopf ist meine schwache Stelle. Ich denke zuviel und bin dadurch sehr angreifbar. Ich bereitete mich also gewissenhaft für den Ernstfall vor.
A: Ich stellte meine Shampooflasche auf den Kopf, um nicht wertvolle Zeit beim Herausquetschen des Shampooinhaltes zu verlieren.
B: Ich drückte mich schon direkt beim Andrehen der Dusche in die äußerste Ecke der Duschkabine, um nicht den richtigen Augenblick zu verpassen, wenn das Wasser begann, seine zwei Minuten heiß- Phase zu beginnen.  
C: Ich faltete meine Hände und krümmte sie zur Faust und ließ dann meine Finger wieder hervorflattern wie vor einem Klavierkonzert. So ausgelassen und gedehnt konnte ich sie sofort auf meinen armen Kopf loslassen.
D: Ich seifte auch schon meine Ohren ein, um sie während der Haarwäsche ratzfatz  mitsäubern zu können.
Ich war soweit. Ich hatte alles getan um die vorhandene Heißwasserzeit optimal nutzen zu können. Nun erwartete ich gelassen das Kommen und Gehen der Temperaturen und spürte, daß ich gerade mit dem kalten Wasser meinen Frieden geschlossen hatte. Ich rief: „Ich ertrage dich wie eine Beziehung mit der man dauernd zusammen ist.“

7. Auch ein Schmerz ist leichter auszuhalten, wenn einem alles nur noch weh tut.


© Erwin Grosche - Erstveröffentlichung dieser Fassung in den Musenblättern 2008