Zum 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung

Über den respektlosen Umgang mit den Arbeiten Fritz Diederings

von Jürgen Koller

Deutsche Einheit - Kunst - Banausentum
 
„Mit Baselitz wäre man nie so umgegangen“
(Fritz Diedering)
 
Die deutsche Vereinigung oder wie es im offiziellen Beamtendeutsch hieß – der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland – war für die Mehrheit der Deutschen im Osten ein lang ersehntes, kaum noch für möglich gehaltenes Ereignis von so gravierender gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Bedeutung, daß fünfundzwanzig Jahre nach diesem 3. Oktober 1990 noch immer nicht von einer 'echten' Einheit des deutschen Volkes im nationalen Fühlen, aber auch im Denken und Handeln gesprochen werden kann. Dagegen war für die große Mehrheit der Bundesdeutschen die Teilung Deutschlands in zwei deutsche Staaten eine gegebene Tatsache, mit der man sich arrangiert hatte, so wie letztlich mit dem Verlust der deutschen Ostgebiete nach dem 2. Weltkrieg. Man war in der Europäischen Gemeinschaft angekommen und voll integriert, verteidigungspolitisch ein wichtiger Partner in der NATO und das Grundgesetz - wo zwar der Passus von der geforderten Wiedervereinigung festgeschrieben stand - gewährte im Übrigen alle erdenklichen demokratischen Rechte und Freiheiten für die Bundesdeutschen. Was einst Konrad Adenauer als Fernziel nicht aus dem Auge verlor, was der Zeitungs-Verleger Axel Cäsar Springer jedem seiner Journalisten ins „Pflichtenheft“ schrieb, nämlich stets für die Einheit Deutschlands zu schreiben, war den Westdeutschen längst aus dem Blickwinkel geraten. Dazu kam noch, daß die deutsche Sozialdemokratie Mitte der achtziger Jahre die SED umarmt und damit den Gedanken an eine Wiedervereinigung leichtfertig und ohne Not zugunsten einer „zwei Staaten-Realität“ aufgegeben hatte. So stand Willy Brandts gewichtiges Wort nach dem Fall der Mauer, „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“, nicht unbedingt für alle führenden Sozialdemokraten der alten Bundesrepublik.
 
Im 25. Jahr der deutschen Vereinigung ist zu fragen, was aus Kanzler Helmut Kohls Aussage von den „blühenden Landschaften in den neuen Bundesländern“ Realität geworden ist. Nach dem schlagartigen Zusammenbruch der maroden DDR-Wirtschaft mit der Folge von Millionen Arbeitslosen, gelang es dem bundesdeutschen Sozialstaat zumindest, einen Absturz des „Beitrittsgebietes“ ins soziale Chaos zu verhindern. Es wird aber noch intensivster Arbeit zukünftiger Generationen erfordern, um der „Ent-Industrialisierung“ in den neuen Bundesländern durch die Schaffung eines leistungsfähigen Mittelstandes entgegenzuwirken und die Abwanderung junger, qualifizierter Ostdeutscher in die westdeutschen Wirtschaftszentren zu beenden. Noch immer liegt die Wirtschaftskraft, die Effizienz der Produktion und die Vielfalt der Dienstleistungen Ostdeutschlands beträchtlich hinter den Altländern zurück, auch die Arbeitslosenrate ist noch höher. Kein DAX-Unternehmen hat seine Führungszentrale in eines der neuen Bundesländer verlegt. Und doch ist der Zugewinn an Lebensqualität und -zuversicht, an Umwelt- Landschafts- und Gewässerschutz in den Städten ebenso wie auf dem flachen Land überall augenscheinlich sichtbar. In den Bereichen Infrastruktur, Bildungswesen, Stadtentwicklung, Wohnen und Leben, kulturelle Vielfalt, Freiheit des Reisens, Forschungs- und Kunstfreiheit, aber auch Presse- und Medienvielfalt u.v.a. brauchen die neuen Bundesländer schon längst keinen Vergleich mehr zu scheuen. Und was die Erfolgsquote in den schulischen Ergebnissen betrifft, kann sich der Osten nicht nur mit den Altländern messen, sondern liegt im Pisa-Vergleich oftmals vorn. Nicht alle „Blütenträume reiften“ in den verflossenen fünfundzwanzig Jahren, aber die Milliarden an Finanzmitteln, die in den „Aufbau-Ost“ geflossen sind, zeitigen Früchte, auf die ganz Deutschland stolz sein kann. Städte wie Görlitz oder Quedlinburg, die unter dem zynisch-fatalistischen Slogan „Ruinen schaffen ohne Waffen“ zu DDR-Zeiten dem totalen Verfall preisgegeben waren, wurden mit großem Aufwand restauriert. Sakrale, geschichtsträchtige Ruinen, wie die Frauenkirche in Dresden, konnten unter großer Anteilnahme und finanzieller Mithilfe der Bevölkerung wieder aufgebaut werden. Besonders die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat nach 1990 viel Engagement in den neuen Bundesländern gezeigt – so zum Beispiel beim zwanzig Jahre dauernden Wiederaufbau von St. Georgen zu Wismar. Überhaupt hat die Stiftung beim Erhalt von landschaftsprägenden Dorfkirchen und Schlössern oder Gutshäusern, besonders in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, Herausragendes geleistet, aber Vieles bleibt noch zu tun.
 
Jede Revolution ist mit einer Umwertung aller Werte verbunden. Es war deshalb unvermeidlich, daß auch die Literatur und die Künste, so auch die Bildkunst der untergegangenen DDR, einer kritischen Sichtung unterworfen wurden. Jetzt, nach fünfundzwanzig Jahren deutscher Einheit hat sich in den alten Bundesländern das gesicherte Wissen durchgesetzt, zu welchen Pressionen, öffentlichen Verunglimpfungen, Verboten und Drangsalierungen es in vierzig Jahren SED-Kulturpolitik gekommen war. Es gab viele bildende Künstler, die bewußt mit ihrer Kunst der Diktatur des grauen Realsozialismus eine schöne, verharmlosende Verpackung gegeben haben, einige hingen der Illusion nach, daß die Bildkunst helfen könnte, einen besseren Menschen in einem demokratischen Sozialismus zu formen, und es gab derer nicht wenige, die die Mächtigen hofierten und sich so im billigen Ruhm sonnten. Nicht zum Sperrmüll der Kunstdoktrin vom sozialistischen Realismus gehörten aber jene, die allen Anfeindungen zum Trotz ihrer künstlerischen Überzeugung treu geblieben sind und für die stets die Maxime galt, die „Autonomie der Kunst im Sinne ihrer individuellen Freiheit gegenüber dem Staat und der Verteidigung gegen Eingriffe von Seiten des Staates“ zu wahren.


„Mensch und Technik“ (1967-72), Alcydharzfarbe auf Aluminium, Eingangshalle Forschungszentrum ROBOTRON Chemnitz
Foto:
Broschüre DEWAG KMST 1975 (1990 abgewickelt) - Fotograf ungenannt
 
Die hier an dieser Stelle zu verhandelnden Bild-Beispiele belegen, wie schwer es zum einen für Bildkünstler war, sich nicht dem Diktat der SED-Kulturbürokratie zu beugen, und wie erschütternd es zum anderen war, erleben zu müssen, daß es nach der deutschen Vereinigung zu Totalverlusten an Arbeiten im öffentlichen Raum auf Grund von eklatanten Verletzungen künstlerischer Autorenrechte und der Mißachtung eines jeglichen Respekts vor künstlerischen Werken gekommen war. Der Chemnitzer Maler/ Grafiker und Gobelin-Gestalter Professor Fritz Diedering, Jahrgang 1931, beklagt den unwiederbringlichen Verlust einiger seiner architekturbezogenen Kunstwerke. Das Wandbild „Mensch und Technik“ (1969/72), Alcydharzfarbe auf Aluminium, in der Eingangshalle des ehemaligen Großforschungszentrums ROBOTRON in Chemnitz, wurde gleich nach der 'Wende' vom neuen westdeutschen Besitzer des Gebäudes beim Aus- und Umbau vernichtet. Die Alu-Tafeln wurden als Abdeckung von Kabelschächten verwendet. Man muß dem Maler Diedering recht geben, wenn er von „Kulturbarberei“ seitens des westdeutschen Investors spricht. Das Wandbild, gestaltet in der dem Künstler eigenen harmonisch-poetischen Sicht, hatte wegen nichtsozialistischer Menschengestaltung, der Verwendung 'konstruktivistischer Formelemente' sowie der Anlehnung an Fernand Léger seinerzeit harte Auseinandersetzungen mit der SED-Kulturbürokratie hervorgerufen.


„Die vier Elemente“ (1970), Bleiglasfenster - Gemeinschaftsarbeit mit Michael Morgner, Treppenhaus Museum Chemnitz
Foto: Thieme (Näheres unbekannt)


Etwa um 1993 veranlaßte die neue, aus den alten Bundesländern (Leverkusen) stammende Direktorin der Städtischen Museen Chemnitz, Susanne Anna, den Rückbau des Bleiglasfensters „Die vier Elemente“ (1970) des Treppenhauses im König-Albert-Museum – eine unpolitische, an den Elementen Feuer, Wasser, Erde, Luft orientierte Gemeinschaftsarbeit von Fritz Diedering und Michael Morgner, Letzterer gewiß auch kein Sympathieträger des DDR-Regimes. Es lagen weder denkmalspflegerische noch konservatorische Aspekte vor, dieses gestalterisch überzeugende und farbintensive Werk zurückzubauen. Die Künstler wurden zwar nach dem Rückbau informiert, es erfolgte aber keinerlei Begründung. Das Fenster wurde laut Diedering im Keller der Neuen Sächsischen Galerie eingelagert, ist aber letztlich für eine künftige Nutzung verloren.
Mit der Neugestaltung wurde der bekannte westdeutsche Maler Karl Otto Götz beauftragt, der ein Werk in gestischer Manier von wenig beeindruckender Farbgebung schuf - wohl ein Gefälligkeitsauftrag. Übrigens wurde Frau Anna schon wenig später von ihrem Direktorenposten von der Stadt Chemnitz abberufen.


Wandbild „Post und Umwelt“ (1967), Emulsionsmalerei auf Stuck, ehemalige Hauptpost Chemnitz (Amateuraufnahme)

Das Wandbild „Post und Umwelt“ (1967), Emulsionsmalerei auf Stuck, im ehemaligen Hauptpostamt Chemnitz, wurde 2006 vom neuen Eigentümer aus Hamburg entfernt – eine Einbeziehung in geplante Modegeschäfte hätte dem händlerischen Konzept widersprochen. Auch sei der Untergrund zu schlecht gewesen. Diedering, der nach wie vor in Chemnitz lebt und arbeitet, hat erst von Dritten von der Zerstörung seines Wandbildes erfahren. (Dabei gibt es durchaus konservatorische Mittel, so ein Bild “abzunehmen“ und zu sichern. Das Mindeste wäre eine professionelle Foto-Dokumentation vom Ist-Zustand gewesen.) Den Satz „Mit Baselitz wäre man nie so umgegangen“ hat Diedering in diesem Zusammenhang in einem Interview mit der Chemnitzer Zeitung Freie Presse geäußert. Besonders ärgerlich – hatte sich der Künstler doch 1967 dagegen zu wehren, das Wandbild zeige zu wenig sozialistischen Realismus, keine Sieghaftigkeit, es sei zu sachlich-abstrakt, zu formalistisch. Erst als sich der Macher des riesigen Marx-Kopfes, der Sowjet-Bildhauer Lew Kerbel, damals positiv geäußert hatte, wurde das Wandbild von der Obrigkeit frei gegeben.


 Gobelin, „Herbst – Zeit der reifen Früchte“ (1976), Ost-Berlin, ehem. Palast der Republik
 
Einer von Diederings stärksten Gobelin-Entwürfen, „Herbst – Zeit der reifen Früchte“, ehemals im Ost-Berliner Palast der Republik - Linden-Restaurant, wurde als Eigentum der Bundesrepublik eingelagert und ist seit Jahrzehnten nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Gestaltung ist thematisch ohne jeglichen politischen Bezug, sehr poetisch und allegorisch, web- und materialtechnisch solide – ergo auch das ein Verlust für den Künstler. Letztlich sind das alles Verluste für Deutschlands Kulturgeschichte und für die interessierte Kunstöffentlichkeit.
Professor Fritz Diedering sieht sich trotz dieser fatalen und mehr als ärgerlichen Vorfälle von Banausentum und Unsensibilität gegenüber seiner Kunst nicht als Verlierer der deutschen Wiedervereinigung, wenn auch Aufträge für den öffentlichen Raum in der Folgezeit ausblieben. Er hat versucht, diese Verluste mit Arbeits- und Studien-Reisen in mediterrane Länder und Landschaften zu kompensieren. Um seine Autorenrechte einzuklagen, fehlten ihm die finanziellen Mittel. Seine Lehrtätigkeit an der Fachschule für angewandte Kunst in Schneeberg/Erzgeb. - seit 1976 – konnte er in der Bundesrepublik als neu berufener Professor für Naturstudium im Fachbereich Angewandte Kunst der Westsächsischen Hochschule Zwickau (FH) bis zu seiner Emeritierung 1996 weiterführen.

Fritz Diedering - (Quelle: Neue Sächsische Galerie)
1931 in Halle/Saale geboren
1950 Abitur
1950 – 1951 Lehre als Schriftsetzer
1951 – 1953 Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Prof. Elisabeth Voigt
1957 Wechsel an die Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle, Burg Giebichenstein, wegen der Unzufriedenheit mit den Studienbedingungen und der Art der Ausbildung in Leipzig
1961 Diplom als Maler
1961 – 1963 Werbegrafiker im Klubhaus der Chemischen Werke Buna
1963 – 1965 Grafiker im Büro für Städtebau des Rates des Bezirkes Karl-Marx-
Stadt (Chemnitz)
seit 1965 freischaffend in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz)
1971 amtierender Bezirksvorsitzender des VBK-DDR in Karl-Marx-Stadt
seit 1974 gewählter Bezirksvorsitzender
1976 – 1985 Honorarlehrer für Naturstudium an der Fachschule für angewandte Kunst Schneeberg, seit 1985 dort Fachschullehrer
1990 – 1993 Leiter des Fachbereiches künstlerisch-gestalterisches
Grundlagenstudium ebenda
seit 1992 Professor für Naturstudium im Fachbereich Angewandte Kunst Schneeberg der Westsächsischen Hochschule Zwickau (FH)
1997 Emeritierung und seitdem freiberuflich tätig, lebt in Chemnitz

 

  Veröffentlichung der Abbildungen mit der freundlichen Erlaubnis von Fritz Diedering - der Fotograf Thieme konnte nicht ermittelt werden.
© für alle anderen Abbildungen: Fritz Diedering

Redaktion: Frank Becker