Schnitt! - Slow Art von Maike Freess

Maike Freess - „Von blinder Gewißheit“ Ausstellung in der Von der Heydt-Kunsthalle Barmen

von Frank Becker

Foto © Frank Becker
Schnitt! - Slow Art von Maike Freess
 
Die Leipziger Künstlerin konfrontiert mit Einschnitten,
subtil makabrem Schrecken und gebremstem Tempo
 
Wuppertal. Wer in der Kunsthalle Barmen des Wuppertaler Von der Heydt-Museums vom kommenden Sonntag an die Ausstellung mit Arbeiten der in Berlin lebenden Künstlerin Maike Freess besucht, muß sich, wenngleich die ausgestellten Werke von hohem Reiz sind, auch auf die Konfrontation mit dem subtilen Schrecken vorbereiten. Es ist der „zweite Blick“ der beim Betrachter der Fotografien, Zeichnungen, Videos und Skulpturen Reaktionen zwischen aufmerksamer Analyse, glucksendem Lachen und subtilem Schauder auslöst.
 
Maike Freess, die ihren Schwerpunkt auf Papierarbeiten, insbesondere ihre detailreichen und düsteren Porträts und hier auf Augen und Hände legt, ist eine vielfach begabte Künstlerin. Der Gang durch die fünf mit „Cuts“, also kunstvoll angelegten optischen Schnitten, konzeptionell miteinander verbundenen Räume offenbart ihren tiefen, hintergründigen Humor, der allerdings bisweilen, horribile dictu, in leises Grauen übergeht. So begegnen wir im ersten Raum neben einer dreidimensionalen hölzernen Installation, welche die auf den Boden applizierten schwarzen Linien – besagte Cuts – übernimmt („Energie durch Gravitation“), lebensgroßen detailreichen teils kryptischen Porträtzeichnungen und an der Stirnwand der ebenfalls lebensgroßen Farbfotografie „Insomnia 2 – Geteert / Gefedert“. Wie bei den meisten ihrer Fotoarbeiten ist Maike Freess selbst das Modell dieser scheinbar stummen Leidenssituation, aus der jedoch aus weit aufgerissenen Augen der Schrei der mißhandelten Seele den Betrachter unaufhörlich verfolgt.


Maike Freess - Insomnia 2 (Detail) - Foto © Von der Heydt-Museum

Von Schnittlinien weitergeführt passiert man einen Saal eindrucksvoll aufgereihter Porträts, wiederum an der Stirnseite beherrscht von großformatigen Zeichnungen, darunter „Die Auszeichnung“, bei der Assoziationen zu Grosz, Dix, Hegenbarth und Kubin aufkommen. Über der Blicklinie hängt in tiefer Versunkenheit die Fotoarbeit „Hallucination 6“ und in der Mitte der Fensterfront zur Linken sorgt in einem Guckkasten die Video-Installation „The Archived Death“ für das oben erwähnte Glucksen. Hier nämlich ist es Freund Hein, der vom Menschen an Fäden geführt mal um mal erlebt, wie blöd es ist, auf die Fresse zu fallen – und das noch in einer schlammigen Pfütze. Beinahe tut einem der Gevatter leid.


Foto © Frank Becker

 
Foto © Frank Becker

 
Foto © Frank Becker
 

Foto © Frank Becker

In seinem Zentrum beherrscht von der fast unheimlich lebensnahen Skulptur „Das Blaue vom Himmel“ und ebenfalls von den Cuts durchzogen läßt der folgende Ausstellungssaal Alpträume auf den Besucher los. Beinahe tänzerisch zierlich dreht sich in der Mitte mit weit ausgestreckten Armen die besagte Skulptur eines blonden jungen Mädchens mit clownesk überschminktem Gesicht und großen blauen Augen. Maike Freess ist es gelungen, den Ausdruck so lebensnah zu gestalten, daß man sich nicht an den Gedanken klammern kann, daß es ja nur eine Figur sei – bei jeder Drehung, bei jedem Blick in das müde, kindlich unschuldige Gesicht durchfährt einen ein Schrecken. Der weitet sich zum beabsichtigten Grauen aus, entdeckt man beim zweiten Hinsehen (sic!) den unter der Strickjacke um die kindliche Taille geschnürten Bombengürtel mit Zeitschaltuhr. Hätten Sie das von einem eindeutig mitteleuropäischen zierlichen Mädchen mit Haarspange erwartet? Eben. Maike Freess zielt – und trifft.


Maike Freess, Das Blaue vom Himmel - Foto © Frank Becker

 
 Maike Freess, Das Blaue vom Himmel - Foto © Frank Becker


Maike Freess, Das Blaue vom Himmel - Foto © Frank Becker

An den Wänden umher mehrere Video-Installationen, die wie auch die Installationen des Slapstick-Tödchens und sich ankleidender Frauen im vorigen Raum darauf angelegt sind, das Blick- und Denk-Tempo zu drosseln. „Slow-Art“ nenne ich diese Form der Entschleunigung, und Maike Frees nimmt beide Begriffe gerne auf. Was ist so attraktiv daran, einer in sich wiederholenden Schleifen eine Treppe hinab und wieder hinauf zu bewegenden Frau zuzusehen? Was, auf das erwartbare Öffnen geschlossener Augen zu warten? Die Spannung liegt in der Ruhe.


Maike Frees, Insomnia - Le Diner - Foto © Frank Becker
 
Eine kleine Überraschung erwartet den regelmäßigen Besucher der Kunsthallen-Ausstellungen nach der nächsten Ecke: die wunderbare großformatige Fotografie „Insomnia 3 – Le dîner“ aus dem Jahr 2004 war hier schon einmal zu sehen, als 2012 Werke aus der Sammlung Mairet ausgestellt wurden. Die brillant arrangierte groteske Tisch-Situation wurde für die aktuelle Ausstellung übrigens von einer Wuppertaler Sammlerin und Mäzenin zur Verfügung gestellt. Man möge mir verzeihen, wenn auch hier neben Videos wieder Fotografien mein Hauptaugenmerk gilt, wo doch im Grunde Zeichnungen überwiegen. Doch darf schräg gegenüber „Das Bad“ aus dem Jahr 1999 nicht unerwähnt bleiben. In Analogie zu Ingres und David tut sich ein weiteres Mysterium der Freess´schen Weltsicht auf.

 
 Maike Freess, Das Bad - Foto © Frank Becker

 
Maike Freess, Die Auszeichnung - Foto © Frank Becker

Das Ende des Durchgangs ist eine Begegnung mit der Sprachlosigkeit. Maike Freess hat in wechselnden Personenkonstellationen Menschen gefilmt, die obwohl auf engstem Rum beieinander nicht, um keinen Preis, miteinander in Kommunikation treten. Das macht mürbe, schaut man zu lange zu – und es weckt den dringenden Bedarf, recht schnell mit jemandem zu reden.
„Von blinder Gewißheit“ ist der Titel der sehens- und erlebenswerten Ausstellung, der ich einen Untertitel geben möchte:  Wer bin ich – und warum?


Maike Freess, Hermetics - Ein Triptychon - Foto © Frank Becker
 
Maike Freess – „Von blinder Gewißheit“
Ausstellung in der Von der Heydt-Kunsthalle Barmen
Geschwister-Scholl-Platz 4-6  -  42275 Wuppertal
Ausstellungsdauer: 30.8.2015 – 3.1.2016
Vernissage: Sonntag, 30.8.2015, 11.30 Uhr
Zur Ausstellung ist im Verlag Kettler ein Katalog erschienen, der für 15,- € im Museum und im Buchhandel erworben werden kann.
 
Weitere Informationen: www.von-der-heydt-kunsthalle.de