Nörgelis Vermächtnis (im Auszug)

Marcel Reich-Ranicki – „Meine deutsche Literatur seit 1945“

von Frank Becker

Nörgelis Vermächtnis
(im Auszug)
 
„Bücher müssen mir gefallen, mich beeindrucken, mich entzücken.“
Marcel Reich-Ranicki
 
Von einigen wenigen wurde er leidenschaftlich gehaßt, von vielen aber mit noch größerer Leidenschaft geliebt und verehrt. Marcel Reich-Ranicki ist vor zwei Jahren gestorben, doch durch seine beispiellose wie beispielhafte literaturkritische Arbeit ist er ohne jeden Bruch bis heute präsent. Das Denkmal, das ihm gebührt, wurde ihm humorvoll schon zu Lebzeiten in Form des „Nörgeli“ gesetzt. Sich selbst hat er mit seinen streitbaren Schriften und Reden unvergeßlich femacht. Damit es so auch bleibt, hat Thomas Anz, Professor für Neuere Deutsche Literatur in Marburg, ein Auswahl von Marcel Reich-Ranickis Texten zur Gegenwartsliteratur, seiner literarischen Entdeckungen und kritischen Provokationen, seiner Lobreden und herzhaften Verrisse, ein Bild der Literatur seit 1945 durch die Brille von MRR zusammengestellt. Der Band, für ein Vermächtnis trotz seiner 570 Seiten zu schmal, gibt aber den nachgeborenen Literatur-Interessierten einen guten Einstieg in ein Verständnis der deutschen Nachkriegsliteratur und ist für Zeitgenossen ein wunderbarer, höchst unterhaltsamer Rückblick auf Reich-Ranickis Werk.
 
Kein wichtiger Name fehlt in der Zusammenstellung von A wie Andersch bis Z wie Peter Paul Zahl. Dazwischen kann man in den Aus- und Einlassungen MRRs über Freunde und Feinde mitschwelgen, seinen bitterbösen und auch seine in Liebe einhüllenden Kritiken aus dem „Literarischen Quartett“ nachlesen. Wer möchte nicht noch einmal den König des erhobenen Zeigefingers über Günter Grass herziehen sehen (1961, 1995) und die Streicheleinheiten für Marie-Luise Kaschnitz (1966) genießen. Jeder der Texte ist eine geschliffene sprachliche Köstlichkeit, eine selber Literatur gewordene, erlesene Delikatesse. Lesen Sie über die Gruppe 47, lesen Sie über Heinrich Böll und Uwe Johnson, über Martin Walser und Dieter Brinkmann, treffen Sie Hilde Spiel, Monika Maron und Siegfried Lenz wieder, schließen Sie erneut Freundschaft mit Friedrich Dürrenmatt, Günter Kunert und Wilhem Genazino. Ein einziges Kompendium der Lesefreude.
 
„Ohne Marcel Reich-Ranicki wäre das literarische Leben der vergangenen Jahrzehnte sehr viel ärmer gewesen – und erheblich langweiliger.“ Das schreibt der Verlag in seinem Klappentext. Wie wahr – und nur um eine von MRR gerne in Variationen benutze Formel zu ergänzen: „Einige dieser Geschichten werden uns überleben.“
 
Marcel Reich-Ranicki – „Meine deutsche Literatur seit 1945“, Herausgegeben von Thomas Anz
© 2015 Deutsche Verlags-Anstalt, 570 Seiten, gebunden, Lesebändchen - ISBN 978-3-421-04704-5
€ 26,99 [D] | € 27,80 [A] | CHF 36,90 |
 
Weitere Informationen:  www.dva.de