An Gladys

Ernst Blass zum 125. Geburtstag

von Frank Becker


An Gladys
 
So seltsam bin ich, der die Nacht durchgeht,
Den schwarzen Hut auf meinem Dichterhaupt.
Die Straßen komme ich entlang geweht.
Mit weichem Glücke bin ich ganz belaubt.
 
Es ist halb eins, das ist ja noch nicht spät...
Laternen schlummern süß und schneebestaubt.
Ach, wenn jetzt nur kein Weib an mich gerät
Mit Worten, schnöde, roh und unerlaubt!
 
Die Straßen komme ich entlang geweht,
Die Lichter scheinen sanft aus mir zu saugen,
Was mich vorhin noch von den Menschen trennte;
 
So seltsam bin ich, der die Nacht durchgeht...
Freundin, wenn ich jetzt dir begegnen könnte,
Ich bin so sanft, mit meinen blauen Augen
 
 
Ernst Blass


Der expressionistische Lyriker Ernst Blass wurde am 17. Oktober 1890 in Berlin geboren und starb am 23. Januar 1939 an Lungentuberkulose. „An Gladys“ gehört zu den Programmgedichten des Expressionismus.
 
 
Verlust

Der Tag ist draußen weiß. Ich hör ihn rauschen.
Ich bin im Zimmer wieder ganz allein.
Die Augen zu. Nur meine Ohren lauschen.
Vorhin schlief ich sogar ein wenig ein ...

Der Tag singt weiter. Worte! weiße! neue!
Tonfälle, Lachen! ... und Bewegungen ...
Erglänzen irgendwo fern .. (Mich zu verlassen!
Geliebte Freundin, die ich einst besungen!)
Und Augen, die ich niemals werde hassen,
Fühlen mich nun nicht mehr. O Durst nach Treue!
 
 
Ernst Blass