Andreas Greve ist bekennender Anhänger des rücksichtslosen Autobiographen Karl Ove Knausgård Im Studio mit Knausgård –
Aufzeichnung einer NDR-Veranstaltung mit einem „Literatur-Star“ Gut 200 Literaturinteressierte durften jüngst 90 Minuten mit dem norwegischen Erfolgsautor Karl Ove Knausgård im Liebermann-Studio in Hamburg verbringen. Genauso lange Zeit mußte der als kommender Klassiker gehandelte Schriftsteller neben dem Moderator und Übersetzer des Abends, Uwe Englert aus München, ausharren. Es gab für ihn nicht so viel zu tun, da der Moderator Englert es als seine Aufgabe ansah, möglichst lange, anspielungsreiche und referenzgesättigte Fragen zu stellen, die der Übersetzer Englert dann ins – pauschal gesagt – Skandinavische übersetzte, die Knausgård dann kurz auf Schwedisch oder Norwegisch beantwortete, welches wiederum der Übersetzer auf Deutsch (ganz ordentlich) zusammenfaßte und dann nochmal als Moderator oder als Kultur-Mensch kommentierte. Auf den Eintrittskarten stand: Karl Ove Knausgård liest. Es hätte aber heißen müssen: Karl Ove Knausgård liest vier Minuten. Dann wäre ich aber möglicherweise gar nicht hingegangen.
Literatur-Funkaufzeichnungen haben den großen Nachteil, daß dem nichtsahnenden Hörer alles nochmal lang und breit erklärt werden muß - unterlegt und illustriert mit deutschen Textpassagen, die in diesem Falle (recht gut) vom Berliner Schauspieler Helmut Mooshammer gelesen wurden, um dann durch wenige Minuten Norwegisch-Vorlesen des extra eingeflogenen Urhebers atmosphärisch aufgebrezelt zu werden. Was leider in Deutschland nicht geht und im Radio schon gar nicht: Englisch als Verkehrssprache. Auch wenn alle Englisch sprechen und / oder verstehen können. Schade, schade - and what an awfull waste of time! So klingt Knausgård übrigens – kurz und gut - auf Englisch: → → →
„Mein Kampf“ wie es überall auf der Welt heißt. Ein monumentales Werk. Ein autobiographischer Befreiungsschlag. Eine Wahnsinnstat . Von Autoren-Kollegen und von Kritikern auf der ganzen Welt mit Lob überhäuft. Von Lesern verschlungen. Auch von den Kritikern verschlungen, weil die Bücher eine Sogwirkung entfalten. Auch wenn nur die Tür des Kühlschranks auf und zu gemacht wird, oder die Kinder zur Krippe gebracht werden oder mal wieder maßlos getrunken wird. Karl Ove Knausgård verschont sich selber nicht mit allerprivatesten Details. Und auch nicht seine nähere oder fernere Familie oder verflossene Lieben. Gerade weil er um keinen Preis mehr Fiction schreiben wollte, nicht mehr ausgedachte Charaktere in ausgedachte Handlung schicken wollte (und auch nicht konnte!), mußten reale Personen aus seinem Umfeld einiges ertragen – auch wenn sie es vorher wußten, auch wenn sie Texte vor der Veröffentlichung lesen konnten.
Der jetzt in Deutschland erschienene fünfte Band behandelt seine Zeit als blutjunger Student in Bergen und seine große Liebe – und erste Ehe dort – zu Tonje, die auch schon im ersten Band kurz auftaucht und die er im zweiten Band, der zeitlich seine zweite Ehe und sein Leben in Stockholm umfaßt, bereits aus nicht ganz klaren Gründen von heute auf morgen verlassen hat. Als Person hat ihr das stark zugesetzt und sie hat sich als Radiojournalistin mit einem Hörspiel mit dem Titel „Tonjes Version“ zur Wehr gesetzt, weil die erklärtermaßen tief subjektiven Schilderungen von Knausgård dennoch zu einer Art historischer Wahrheit wurden. Das fand die nun zur „Ex“ gestempelte Tonje ungerecht und ungeheuer. Als Autorin und Kulturmensch hat sie es aber nicht über sich bringen können, die Freiheit des Künstlers oder die Eigenständigkeit des Kunstwerks anzutasten und wollte weder etwas rausgestrichen, noch umgeschrieben haben. Und ihr wurde klar: Auch für Knausgård selbst war dies die Hölle. Er hat unter all dem, was er von sich und anderen preisgegeben mußte, um sein Leiden zu beschreiben, auch gelitten. Es war nicht etwa nur Befreiung über den alkoholkranken, terroristischen Vater zu schreiben – es war auch eine Beschädigung oder Gefährdung der Beziehung zu seiner Mutter und nicht zuletzt zum geliebten, verehrten und für immer größeren Bruder Yngve, der ihn irgendwann einmal als „anstrengenden Idioten“ bezeichnet.
Rücksichtslosigkeit gegen sich, gegen andere und gegen überzogene literarische Maßstäbe. Das enorme Schreibtempo läßt kleinteilige Stilüberlegungen nicht zu – alles muß raus! Und dennoch ist wohl vieles wohl kalkuliert und willentlich komponiert. Da bleibt noch genug Arbeit für ein Heer von Literaturwissenschaftlern. Das braucht den Leser aber nicht zu kümmern. Oder den Fan: Ich war eigentlich hauptsächlich hingegangen, um ein Autogramm in „Min Kamp – Bind 2“ zu bekommen, den ich auf norwegisch gelesen hatte und als Taschenbuch besaß. Also drängelte ich mich danach mit allen anderen vor dem Signiertisch im Foyer (nur der maßlose Matthias Mattussek drängelte sich an uns vorbei) und bekam „warme Grüße von Karl Ove Knausgård“ in meinen gebrauchten zweiten Band - als Widmung und quasi als Fanartikel.
In einem Interview sagte der Schriftsteller Knausgård jüngst, daß der Leser ihn als Menschen Karl Ove - trotz aller Entäußerungen im Werk – nicht kennen würde. Diesen Eindruck hatte ich an diesem Abend ganz bestimmt auch.
Die Sendung wird am 10. Januar 2016 um 20 Uhr im NDR Kultur-Sonntagsstudio ausgestrahlt.
Karl Ove Knausgård - „Träumen“ Roman, Originaltitel: „Min Kamp V“, Aus dem Norwegischen von Paul Berf
© 2015 Luchterhand Literaturverlag, Gebunden mit Schutzumschlag, 800 Seiten
ISBN: 978-3-630-87414-2 € 24,99 [D] | € 25,70 [A] | CHF 33,90 Weitere Informationen: www.randomhouse.de Die ersten drei Bände erschienen bereits auch als btb-Taschenbuch Die bislang beste deutschsprachige Knausgård-Besprechung schrieb / stellte Felicitas von Lovenberg Ende September auf faz.net. Ziemlich erschöpfend, aber keineswegs erschöpfend: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/traeumen-band-v-von-karl-ove-knausgard-13814229.html |