Der Spott der kleinen Dinge

Gottesteilchen

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Gottesteilchen
 
Neulich haben Leute das Gottesteilchen entdeckt. Es hieß, es habe Jahre gedauert, außerdem soll es recht schwierig gewesen sein, denn es halte die Materie zusammen. Ich verspürte Verständnis, man kennt das ja von Tesafilm. Erst findet man die Rolle nicht. Hat man sie, sucht man den Anfang. Warum soll das bei Gott anders sein?!
     Meine Beschäftigung mit dem Gottesteilchen begann beim Flurputzen. Ich hörte Radio. Erst kam das Lied „Tacatà“, dann die Nachricht mit dem Gottesteilchen. „Tacatà“ ist ein Sommerhit und wird schnell vergessen sein, das Gottesteilchen nicht. Ich wrang den Aufnehmer aus und ärgerte mich, dass ich schon jetzt den bedeutungslosen Sommerhit „Tacatà“ komplett auswendig konnte (»Dale mamasita con tu tacatà …«). Mit dem Durchschauen des als „Higgs“ bezeichneten Gottesteilchens tat ich mich dagegen etwas schwer.
     Ich rief meinen Schwager an, um mein Wissen zu teilen. Mein Schwager kann aus dem Stegreif über die Unschärferelation unter dem Eindruck der Boltzmann-Konstante referieren, hat aber große Mühe, am VRR-Automaten ein Zusatzticket der Stufe 2 zu ziehen. Bei mir ist es genau umgekehrt.
     Ich machte ein Wortspiel mit „Higgs“. Mein Schwager erklärte, es gebe beileibe keine Gründe, Witze über Teilchen zu machen, und sprach sich hitzig für den sofortigen Bau eines Linearbeschleunigers aus. Ich pfiff „Tacatà“ durch den Hörer. Er leugnete, etwas Derartiges jemals gehört zu haben.
 
 
© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.