Ein Gegenentwurf

Ulrich Kittstein – „Eduard Mörike. Jenseits der Idylle“

von Frank Becker

Jenseits der Idylle
 
Zum besseren Kennenlernen Edurad Mörikes
 
Wer war eigentlich dieser Eduard Mörike (* 8. September 1804 in Ludwigsburg, † 4. Juni 1875 in Stuttgart)? Als Lyriker Lyriker der Schwäbischen Schule und sein Gedicht Er ist´s (Frühling läßt sein blaues Band…) ist er wohl fast jedem bekannt, kein Jahreszeiten-Almanach, keine Lyrik-Anthologie und kaum ein Deutschlehrer läßt es aus. Viele kennen ihn durch u.a. „Maler Nolten“, „Das Stuttgarter Hutzelmännlein“ und „Mozart auf der Reise nach Prag“ auch als Erzähler und wenige als Übersetzer vorchristlicher griechischer und römischer Dichtung. Aber war auch und vor allem – und sehr ungern, wie man weiß - evangelischer Pfarrer, ein Beruf, den er durchs Studium am Tübinger Stift aufgezwungen, so widerwillig ausübte, daß man in der wahrlich kurzen Zeit seiner theologischen Laufbahn von 1826-1843, die er nach nur 17 Jahren und etlichen Vikars- und Pfarrstellen – häufig durch Krankheit unterbrochen - mit erst 39 Jahren durch seine erbetene Pensionierung beendete.
 
Eduard Mörike war ein äußerst schwieriger Mensch, wofür auch sein häufiger Arbeitsplatzwechsel spricht, wenngleich einige lebenslange Freundschaften ihn begleiteten, so zu den Tübinger Seminarfreunden Wilhelm Waiblinger und Ludwig Bauer. Er war aber auch ausgesprochen interessiert und kommunikativ – seine überlieferten, zum Teil umfangreichen Briefwechsel u.a. mit seiner Braut Luise Rau, seiner späteren Ehefrau Margarethe, seinen Geschwistern Charlotte, Klara, Louis und Karl, mi dem Maler Moritz von Schwind, dem Schriftsteller Friedrich Theodor Vischer, dem Seminarfreund Wilhelm Hartlaub und dessen Frau Agnes, die ihm treue Freundin wurde, dem Theologen Fritz Denk, dem Dichter Ludwig Uhland, dem Volkskundler, Dichter und Theologen Gustav Schwab und dem Schriftsteller Paul Heyse, um nur einige zu nennen, zeugen davon.
 
Doch die schwäbische Biedermeier-Idylle, mit der sein Name und seine Dichtung bislang gerne verklärt wurden, bekam im Laufe der neuzeitlichen Mörike-Forschung erhebliche Risse. Schon in den 70er Jahren wies der Wuppertaler Literaturwissenschaftler und Volkskundler Prof. Dr. Heinz Rölleke in seinen Mörike-Seminaren und Vorlesungen auf den zwiespältigen Charakter Mörikes hin. Mittlerweile legendär ist Röllekes Vorlesung über Eduard Mörikes Novelle „Mozart auf der Reise nach Prag“, die viel Spannendes über Mörikes kompliziertes Leben und dessen beziehungsreiche intime Kenntnis von Mozarts Leben und dessen Oper „Don Giovanni“ zum Inhalt hat. Gelegentlich, wie jüngst auf Einladung der Goethe-Gesellschaft, hält er sie heute noch.
 
Nun legt Prof. Ulrich Kittstein mit seiner umfangreichen Untersuchung „Eduard Mörike. Jenseits der Idylle“ ein Buch vor, das abermals gründlich mit den überkommenen Bild des romantischen Dichters aufräumt. Entlang Mörikes Biographie und chronologisch angereichert mit jeweils zeitbezogenen Auszügen aus Mörikes Dichtung zeichnet Kittstein ein ungeschminktes und gerade dadurch anschauliches und interessantes, mit Spannung zu lesendes Persönlichkeits- und Lebensbild dieses Mannes. Freundschaften und Zerwürfnisse, Liebesbeziehungen, erotische Spannungen und Trennungen, familiäres Umfeld, Selbstzweifel, dichterische Erfolge, Finanzsituation und politisch-historisches Umfeld stecken auf 592 eng gesetzten Seiten einen umfangreichen, dennoch ungemein fesselnden Rahmen. Zugleich gibt Ulrich Kittstein dem Leser durch die Interpretation von Mörikes Werk ein Werkzeug zum neuen Lesen von dessen Lyrik und Prosa an die Hand. Gut beraten ist der Leser, bei der Lektüre von Kittsteins Buch auch die Briefwechsel Mörikes und eine Werkausgabe bei der Hand zu haben. Zum besseren Kennenlernen Mörikes und seiner Zeit ist Ulrich Kittsteins Buch sehr zu empfehlen. Von uns mit unserem Prädikat, dem Musenkuß ausgezeichnet.
 
Ulrich Kittstein – „Eduard Mörike. Jenseits der Idylle“
© 2015 Lambert Schneider / WBG, 592 Seiten 14,5 x 21,7 cm, gebunden mit SchU und Lesebändchen, Bibliographie und Register – ISBN 978-3-650-40075-8
39,95 €
 
Weitere Informationen: www.lambertschneider.de