Kennen Sie Carl Loewe? (1)

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Kennen Sie eigentlich
Carl Loewe? (1)
 
Geschätzte Musikfreunde,
 
lassen Sie mich Ihnen heute etwas über die Ballade und namentlich Carl Loewe, den Meister dieser Form erzählen, der zwar auch anderes geschrieben hat, dessen weitere Werke aber beinahe vergessen sind. Als Balladenkomponist allerdings wurde er schon zu Lebzeiten große gefeiert. Meyers Konversationslexikon schreibt 1890 unter anderem: „Am bedeutendsten und fruchtbarsten war er als Komponist von Liedern, namentlich von Balladen, von denen sich viele durch Originalität der Erfindung wie durch Feinheit der Charakteristik und Treue des Kolorits auszeichnen“. Und eines meiner Lieblingsbücher, das „Kleine musikalische Konversations-Lexikon“ von Julius Schuberth schreibt 1865 „als Balladenkomponist steht Loewe unerreicht dar“. Was uns dazu bringt, mal zu schauen, was das denn streng genommen überhaupt ist, eine Ballade. Schön ist, daß es mit Tanz angefangen hat.
 
Die Ballade ist ursprünglich ein Tanzlied, ein kurzes, gesungenes Tanzlied aus der Provence, später von den trovatori und Troubadouren in artifizielle Höhen geschraubt. Schnell hat sich daraus extrem eine strenge Form entwickelt, an die sich sogar der große Anarchist und Poet Francois Villon gehalten hat in seinen hinreißenden Balladen: 8-10zeilige Strophen à 8 bis 120 Silben, meistens drei Strophen nach dem Schema ababbcbC – hab ich auch nicht gewußt, mußte ich nachgucken und ist auch nicht wirklich von erheblicher Bedeutung – außer bei Loewe, weil er diese Dinge ganz erheblich berücksichtigte. In England entwickelte sich dann die Ballade zu dem, was wir heute kennen: große dramatische Erzählungen in strenger Form aus der Welt der Helden, Dämonen und Sagen, meistens riesige Szenarien, in denen der Mensch mit den Göttern ringt oder einfach nur ihr Spielball ist, ich sage nur „Lenore“ von Gottfried August Bürger, einer der großen Meister der Ballade und das berühmte „und hurre hurre, hopp hopp hopp ging’s fort mit sausendem Galopp“, da wurd einem damals in der Schule schon ein bißchen angst und bang. Goethe und Schiller haben auch ihr übriges dazu getan, was dazu führte, daß im 19. Jahrhundert die Ballade die populärste lyrische Form war. Erst recht, als sich Komponisten ihrer annahmen, ich sage nur „Erlkönig“ und Schubert, um den Meister zu nennen. Loewe übrigens war der Auffassung, daß er den Erlkönig Goethes in dramatischere Töne fassen könne als es Schubert gelungen sei. Trotz dieser eigentümlichen Selbsteinschätzung aber bleibt festzustellen, daß Loewe ein ganz erhebliches dramatisches Talent hatte, das er in der Vertonung der Balladen herausragend einsetzen konnte, so, daß diese Dramatik auch dann grandios ist, wenn man die Balladen „nur“ instrumental spielt, also ohne Gesang. Nun hätte ein Komponist, der kein Gespür für Dramatik hat, auch die Finger von den Balladen lassen müssen, denn sie selbst waren oft genug an Dramatik nicht mehr zu überbieten. Wo die Dramatik der Ballade aber in große dramatische Musik führt, ist sie auch heute noch überzeugend.
 
Von Carl Loewe möchte ich Ihnen ein bißchen erzählen, auch wenn es sich erst postum im schönen Rheinland abgespielt hat – und auch das nicht in eigener, sondern in Gestalt seiner Witwe, die mit ihren vier Töchtern nach Unkel am Rhein gezogen ist und dort bis zu ihrem Tod 1895 blieb. Er selbst, Johann Karl Gottfried Loewe ist am 30. November 1796, was ein Freitag war, in Löbejün geboren, unweit von Halle und ist am 20. April 1869, was ein Dienstag war, in Kiel gestorben. Sein Papa war Kantor und entsprechend kinderreich: Carl Loewe war das jüngste von 12 Kindern. Es gibt böse Stimmen, die behaupten, die Balladen Loewes seien nur deshalb ein so großer Erfolg gewesen, weil er sie selbst sang und er hatte, wie die Zeitgenossen übereinstimmend berichten, eine herausragende Stimme. Dieselben Stimmen behaupten allerdings auch, man könne Loewes Kompositionen allenfalls in Orten unter 10.000 Einwohnern aufführen, woran Sie sehen, was man von diesem Stimmen halten soll. Tatsächlich ist Carl Loewe schon als Kind mit seiner guten Stimme aufgefallen. Er sang als Solo-Diskantist, also als Sopran, in der Kirche seines Papas, der ihm auch das Klavierspiel näher brachte. Mit elf kam er nach Köthen in den städtischen Schulchor, die Stadt zahlte ihm dabei den Unterhalt, die Schule und den Gesangsunterricht, so sehr war sie von seinen Talenten überzeugt. Zwei Jahre später wurde er in die Francksche Stiftung in Halle aufgenommen, wo er bei Daniel Gottlob Türk, „der ihn mit Strenge maßregelte“ wie mein Julius Schuberth schreibt, wohnen durfte, was deshalb interessant ist, weil Türk der Verfasser einer heute noch nicht vergessenen Generalbass-Schule war. Das Talent des jungen Sängers war so groß – und deshalb berichte ich von ihm – daß er große öffentliche Aufmerksamkeit genoß. Dazu kommt ein unverschämtes Glück, dergestalt, daß er nicht nur einen schönen Knabensopran hatte sondern nach dem Stimmbruch gleich auch noch einen wundervollen Tenor bekam. Er schaffte es zwar nicht wie sein Kollege Albert Lortzing ins große Sängerlexikon der Herren Kutsch und Riemens, was aber sicherlich nur daran lag, daß er nie auf Opernbühnen stand, er war ausschließlich Lied-Sänger, der ab und zu mal ein Oratorium sang. Weil er ein so begabter Tenor war, stieß er auch in die Welt der Politik vor, mußte allerdings rasch auch deren Kehrseite erdulden.
 
Davon erzähle ich Ihnen in der übernächsten Woche etwas. Vorher haben nämlich noch einen großen Geburtstag zu feiern, aber davon am kommenden Dienstag mehr in meinen musikalischen Herbst-Impressionen.
 
Bis dahin!
Ihr
Konrad Beikircher

Redaktion: Frank Becker