Musikalische Herbstimpressionen
von Konrad Beikircher
Herzlich willkommen, liebe Freunde der großen Musik,
hier bei einem herbstlichen Pasticcio musicale. Der Oktober zeigte sich bereits von seiner schönen Seite, und jetzt dieser frühlingshafte November: kein Schmuddel, kein Schmodder, alles wartet auf die Rekorddurchsagen der Winzer, so fein hat die Sonne in den letzten Wochen die Reben verzärtelt, was mich an meine Zeit beim Männergesangsverein erinnert und überhaupt an die Zeit vor 40 Jahren, wo man viel mehr gesungen hat als heute. Erinnern Sie sich an Lieder wie „Im tiefen Keller sitz ich hier“, so was haben wir in den Gasthäusern vorgetragen: ich saß mit der Gitarre da, 13, 14 Jahre jung, und eine Corona von Zechern um mich herum, da war doch immer ein Baß dabei und schon ging es los, und wenn einer das tiefe C erreichte, gab es Applaus und wir waren glücklich und zufrieden. Im Männergesangsverein Bruneck, der das Motto, das jeder MGV haben muß, ein bißchen von den Kärntnern abgeschaut hat „Ein deutsches Lied im Tal der Mürz ist des Gesanges rechte Würz“ - das sind Reime, Herrschaften, oder?! - der also das Motto hatte „In Ernst und Scherz ein deutsches Lied erhebt uns Seele und Gemüt“ auch nicht viel besser, wenn Sie mich fragen - im Männergesangsverein Bruneck haben wir natürlich Silcher rauf und runter gesungen, was der kundige Zuhörer immer schon daran erkennen konnte, wenn der Dirigent Grundton, Quinte und Dezime anstimmte, dann kam nämlich immer Silcher. Friedrich Silcher allerdings wird oft belächelt und das zu Unrecht, sein kompositorisches Schaffen ist ganz erheblich. Ihm zu Ehren wurde übrigens 1951 in Baden-Württemberg aus der Kerner- und der Sylvanerrebe eine neue gezüchtet: der Silcher. Man sieht: der Schwabe kann dankbar und großzügig sein - so lange es nix koschtet, ha no! Ihm zu Ehren und weil es Herbst ist und weil es ein Lied ist, das ich Hunderte von Malen gesungen habe und weil es gute Laune macht die Reben-Hymne schlechthin: → „Aus der Traube in die Tonne“.
Leben Sie in der Provinz? Sicherlich, die meisten von uns leben in der Provinz und sind, so wie ich auch, zufrieden damit, die Provinz hat ihre großen Vorteile: die Heimeligkeit des überschaubaren Lebens, die kuscheligen Plaudereien am Gartenzaun, kurz: es hat was von Spitzweg und das ist ja eine der deutschen Stärken überhaupt: die Idylle, ob auf dem Lande, ob in der Kleinstadt, die deutsche Idylle ist wunderbar.
Bonn, liebe Freunde, ist auch, nein könnte auch sehr idyllisch sein. Hier hat sich Beethoven schon wohl gefühlt, zumindest, so lange er klein war, hier hat sich Luigi Pirandello ein paar Jahre lang so wohlgefühlt, daß er sich in die Tochter seiner Vermieterin verliebt und wundervolle Gedichte auf Deutsch geschrieben hat, was in Italien jeder Oberschüler weiß, nur hier in Bonn mußte man es immer wieder predigen aber jetzt gibt es endlich eine Gedenktafel an dem Haus, in dem er gewohnt hat und ich freue mich sehr darüber. Mit der Idylle tut sich Bonn aber sehr schwer. Und mit der Kultur auch. Das fängt bei Beethoven an, na gut, jetzt hat er immerhin ein fein gebautes Beethovenfest einmal im Jahr und das ist schon toll, auch wenn die Künstler, wenn sie in der Beethovenhalle spielen, sich über die unhaltbaren Zustände hinter der Bühne aufregen oder lustig machen, und geht über August Macke, dessen einziges Fresko, das er mit Franz Marc zusammen in seinem Wohnhaus gemalt hat, an das Landesmuseum Münster verkloppt wurde bis hin - und das ist ein weiterer Streich - zur Oper. Jüngst haben die Piraten im Stadtrat den Vorschlag eingereicht, die Oper Bonn zu schließen. Natürlich war der Antrag komplizierter formuliert, aber er läuft darauf hinaus. Die Oper also sollte geschlossen werden. Argument: zu teuer. Wir brauchen das Geld für andere Sachen.
Und das, obwohl die Piraten in Bonn sich als Kulturpartei verstehen und in ihrem Programm Sätze stehen haben wie: „Kultur ist der Nährboden unserer Gesellschaft, sie ist kein Bereich, in dem man leichtfertig verzockte öffentliche Gelder wieder einsparen kann, sondern sie ist absolut notwendig.“ Aber die Jungs unter der Totenkopfflagge sind ja sicher bald Geschichte.
Am 9. 10. 1835 ist er geboren, vor genau 180 Jahren, meine Herrschaften, unser Camille Saint-Saens. Wenn da nicht jedem Karnevalisten das Herz höher schlägt, dann weiß ich es nicht. Von ihm gibt es eine Reihe von köstlichen Sottisen über Kollegen, eine der schönsten ist folgende: „Die Musik von Max Reger hat keinen Anfang und hat kein Ende – sie dauert einfach nur.“ Wundervoll formuliert, zugegeben, aber nicht wirklich richtig, oder?
Sein Leben übrigens ist ein Leben voller erster Gelegenheiten:
Charles-Camille Saint-Saëns: geboren am 9. Oktober 1835 in Paris, gestorben mit 86 Jahren am 16. Dezember 1921 in Algier. Nachdem der kleine Camille mit 3 1/2 Jahren am 22. März 1839 seine erste Komposition veröffentlichte: einen Galopp für Klavier, war der Weg vorgezeichnet: mit 5 das erste öffentliche Auftreten, mit 11 das erste offizielle Konzert in der Salle Pleyel, mit 22 die erste Auslandsreise nach Italien, mit 30 die erste Konzertreise ins Ausland, mit 33 das Kreuz der Ehrenlegion, mit 37 die erste schriftstellerische Arbeit für „La Renaissance Littéraire et Artistique“, mit 40 die Geburt des ersten Sohnes, mit 55 Eröffnung des ersten Saint-Saëns Museums in Dieppe, mit 60 erster Herausgeber der Gesamtausgabe der Werke Jean Philippe Rameaus mit 72 Enthüllung des ersten Saint-Saëns-Denkmals in Dieppe, mit 78 erster öffentlicher Entschluß, nicht mehr konzertieren zu wollen, mit fast 86 definitiv letztes Konzert in Dieppe und am 24 Dezember 1921 schließlich Beerdigung auf dem Cimetière Montparnasse in Paris, kurz vor der Bescherung.
Wie gesagt: Ein Leben voller Erster Gelegenheiten! Und was für schöne Musik!
Camille Saint-Saens: Romanze für Violoncello und Orchester F-Dur op.36
Wir hätten aber mit noch einem Geburtstag zu dienen, und zwar einem klaren, glatten: morgen vor ein wenig mehr als 103 Jahren ist er geboren, in Budapest: Georg Solti, eigentlich Georg Stern. Er ist von großen Komponisten und, was noch viel wichtiger ist, denke ich, großartigen Menschen ausgebildet worden: von Bela Bartok, Ernst von Dohnanyi, Leo Weiner und Zoltan Kodaly, ich möchte mal sagen: mehr geht nicht. Er war Assistent bei Bruno Walter und Arturo Toscanini und nach dem zweiten Weltkrieg kam er nach Deutschland, wo er in München anfing und sich dann zu den Wiener Philharmonikern hochdirigierte. Der Rest seiner unglaublichen künstlerischen Karriere ist jedem Musikfreund geläufig, seine Einspielungen von Verdi, Strauss und Wagner sind nach wie vor Referenzaufnahmen, sein Ring ist grandios und seine Bartok Aufnahmen legendär. Für mich ist eine seiner größten Leistungen die Aufnahme der Arabella. Er hat diese wundervolle Oper 1957 in einer absoluten Luxusbesetzung aufgenommen: Lisa della Casa, die Arabellissima des 20.Jahrhunderts, Hilde Güden, George London und nicht zuletzt Anton Dermota. Dazu schwelgten die Herren Philharmoniker aus Wien, daß es eine Lust war, ihnen zuzuhören und ins Schwärmen zu geraten. Womit wir in der kleinen Ecke der schönen Zeilen wären, Lyrik oder Prosa - was tut es, wenn es uns die Welt in schönen Worten sagt. So ein Gedicht habe ich bei Theodor Storm gefunden, ein Oktobergedicht so ganz nach meinem Sinn. Gilt ja auch noch, denn novembrig ist es derzeit wahrlich nicht. Ich kann mir da richtig vorstellen, wie der Herr Amtsrichter und Landvogt in Husum sitzt, hinaus aufs Haff lugt, sich dann ein Fläschchen edlen Burgunders holt, es mit geübtem Griff entkorkt, mit dem rotfunkelnden Glas in der rechten Hand in seinen berühmten Ohrensessel sinkt und für diesen Moment alles Graue und Ekle um sich herum vergißt. Vielleicht sind ihm genau da diese Zeilen eingefallen:
Oktoberlied
Der Nebel steigt, es fällt das Laub; Schenk ein den Wein, den holden! Wir wollen uns den grauen Tag Vergolden, ja vergolden! Und geht es draußen noch so toll, Unchristlich oder christlich, Ist doch die Welt, die schöne Welt, So gänzlich unverwüstlich! Und wimmert auch einmal das Herz, - Stoß an und laß es klingen! Wir wissen's doch, ein rechtes Herz Ist gar nicht umzubringen. Der Nebel steigt, es fällt das Laub; Schenkt ein den Wein, den holden! Wir wollen uns den grauen Tag Vergolden, ja vergolden! Wohl ist es Herbst; doch warte nur, Doch warte nur ein Weilchen! Der Frühling kommt, der Himmel lacht, Es steht die Welt in Veilchen. Die blauen Tage brechen an, Und ehe sie verfließen, Wir wollen sie, mein wackrer Freund, Genießen, ja genießen. Herbstmusik? Bitte schön: Astor Piazzolla: Otono porteno (Herbst in Buenos Aires)
Geht es Ihnen nicht auch so wie mir? Es ist neben der feinen Sprache bei solchen Größen wie eben dem Herrn Amtsrichter Theodor Storm, immer auch die Musikalität, die einen fasziniert und gefangen nimmt.
Es gibt keinen Künstler, der sich davon nicht anregen ließe, denken Sie nur an den einzigartigen Oskar Werner, wenn er rezitierte. Er wird zum kleinen begeisterten Buben, wenn er den Zauberlehrling aufsagt. Es ist ein literarisch-musikalisches Vergnügen, ein parodistisches obendrein, ein atemloses noch dazu, denn das geschehen, das geschildert wird, macht einen atemlos und daß am Ende sogar noch ein Hans Moser aufblitzt.
Oskar Werner spricht „der Zauberlehrling“ live, ich meine Salzburg 1961, es ist die Aufnahme, wo er den Zauberlehrling auf 2 1/2 Minuten eindampft: www.youtube.com/
No, da wären wir am Ende dieses herbslichen Pasticcio. Das Beethoven-Fest in Bonn geht seinem Ende entgegen und ich lasse mir nochmal auf der Zunge zergehen, daß mein Lieblingsbürgermeister von Bonn - nicht Oberbürgermeister, nur Bürgermeister - vor ein paar Jahren das Abschlußkonzert mit einem Grußwort der Stadt Bonn würzte, in dem er sich für die Aufführungen zeitgenössischer Musik mit den Worten bedankte: „Janz besonders hat et mich jefreut, daß in diesem Jahr auch zeitgenössische Kommunisten aufgeführt worden sind!“, tja, was so einem Dorfbürgermeister halt beim Ablesen alles so passieren kann. Nee, was ist es schön, wenn man in einer Stadt wie Bonn leben kann, wo der Name Beethoven so hochgehalten, die Oper so gefeiert, das Schauspiel so geschätzt und die Maler und Bildhauer so ausgestellt werden.
Ich wünsche ihnen eine feine Woche, lassen Sie es sich nicht verdrießen und seien Sie gegrüßt von
Ihrem Konrad Beikircher
Redaktion: Frank Becker
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