Bestsellerfressen

„Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral“ von Helmut Schmidt

von Wolfgang Nitschke

Wolfgang Nitschke - © Manfred Linke / laif
Die Moralorgel
 
„Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral“
von Helmut Schmidt
 
 
Meine Damen und Herren!
Zunächst mal: Nix gegen den Kette-Raucher Helmut Schmidt! Friede seiner Asche. Und nix gegen den Sozi, den Innensenator und Bundeskanzler Helmut Schmidt – de mortuis nil nisi bene. Aber als Buchautor? Da kamen mir schon vor 16 Jahren Zweifel, als ich notierte:
 
Die Deutsche Gesellschaft für Sterbehilfe verschickt neuerdings an ihre unheilbar interessierten Mitglieder nicht nur Zyankali und DVDs von Atze Schröder; nein, seitdem es erwiesen ist, daß man sich auch zu Tode langweilen kann, hat sie auch einen Bestseller im Programm.
Hochverehrtes Publikum, biddeschööön, Vorsicht und hereinspaziert!
Hier, das langweiligste Buch seit Erfindung der Höhlenmalerei:
„Helmut Schmidt - Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral“
Eine Schrift aus der Schriftenreihe: „Tote erklären uns die Welt“.

So! Ich werde Ihnen jetzt was zitieren. Aber keine Panik! Zwei, drei Sätzchen haben noch nie jemandem geschadet. Und falls jemand wegschlummert – ich hab 'n Wecker dabei! Et kann also gar nix passieren. Here we go:
„Gelten uns Grundwerte und Tugenden heute tatsächlich weniger als früher? Weniger als in den ersten Nachkriegs­jahrzehnten? Weniger als zur Zeit der Weimarer Republik? Weniger als in der Ära Wilhelms des Zweiten und Bismarcks? Weniger als ...“ Hallo, nicht einschlafen! „Weniger als zu den Zeiten des Hl. Römischen Reiches deutscher Nation?“ Ja, vielleicht sogar noch weniger als zu Zeiten von Räuber Hotzenplotz?!
Tja, das Lesen ist schon Euthanasie vom Feinsten. Doch der gegen den Tod scheinbar völlig immunisierte Pöseldorfer Heimatdichter muß beim Pinnen seiner Zeilen auch einige Schrammen abbekommen haben:
„China hat heute schon 15 mal so viele Menschen wie Deutschland, 20 mal so viele wie Frankreich oder England oder Italien und 80 mal so viele wie Holland - und der Intelli­genzquotient der Chinesen ist nicht geringer als derjenige der Europäer.“
Ööh, worum geht's? Hm, es geht natürlich um die Wurst. Um den Wurst- und Werte-Standort Deutschland. Und der, der wuppert die Wupper runter:
„Allerorten egoistische Bereicherung, Korruption, Steuer­betrug, Raubtier-Kapitalismus und Spekulationismus!“
Jaah, Spekulationismus - was immer das auch sein soll!

Meine Damen und Herren, bisher hatte Helmut Schmidt ja kaum Feinde; gut, mit Ausnahme vielleicht der Familie von Hans-Martin Schleyer. Aber nu macht er nicht nur die Wirtschaft madig, er fällt auch über seine eigne Gattung her:
„Es besteht eine gewisse Gefahr, daß sich die Meinung ausbreitet, das sind doch alles Spitzbuben in der Politik.“
Ähä, is' das nicht putzig? Spitzbuben in der Politik! Yo! Und dann knallt der gnadenlose Spitzbubenkritiker den Spitzbuben vom Spitzbuben-TV noch einen vor ihren spitzen Spitzbubenlatz!
Kurze Warnung, meine Damen und Herren: Das folgende Zitat ist wieder etwas länger!
„Vor 30 Jahren hatte der Siegeszug des Fernsehens gerade erst begonnen, heute dagegen findet sich in fast jeder Woh­nung ein Fernsehempfänger...“ Wobei er mit Fernsehempfänger den Apparat meint und nicht den Fernsehempfänger. „In manchen Wohnstuben sind mehrere Geräte gleichzeitig in Betrieb. Eltern und Kinder sehen verschiedene Sendungen.“ Das Buch ist zwar, zugegeben, schon was älter; um genau zu sein: von 1998, aber auch 1998 gab es keinen triftigen Grund, den Menschen wieder die Stein­zeit an die Hacken zu wünschen. Außer bodenlose Gehässigkeit. Egal. „In den letzten 30 Jahren hat sich die Zahl der Raubüberfälle versechsfacht, die Zahl der Diebstähle vervierfacht, die Zahl bei Mord und Totschlag verdoppelt und die Schulkinder beschmieren die Wände mit Parolen und Pornographie.“ So, und jetzt kommt die Pointe: „Ich möchte einen Wunsch äußern, der heute noch dringlicher erscheinen mag als vor einem Vierteljahrhundert, als ich den Vorschlag zum ersten Mal gemacht habe: daß wenigstens an einem Tag in der Woche das Fernsehgerät ausgeschaltet bleibt. Daß Eltern statt­dessen mit ihren Kindern spielen, vielleicht auch singen oder musizieren.“
Meine Damen und Herren, daß sich, wenn Deutschland wieder singt und musiziert, Mord und Totschlag höchstens von der Straße ins Wohn­zimmer verlagern, ist einer toten, sozialdemokratischen Blockwartflöte wie Helmut Schmidt selbst in 1000 Jahren nicht beizubiegen. Denn in einem Kommißkopp hat nun mal von Natur aus nur ein Gedanke Platz: „Es sollte ernsthaft erwogen werden, ein allgemeines soziales Pflichtjahr einzuführen.“ Und weil es reicht, wenn man braun in der Birne ist, fügt er hinzu: „Natürlich wären keineswegs eine einheit­liche Kleidung oder gar Uniformen notwendig.“

Doch auf'n letzten 6 Seiten weizsäckert der gewixte Wehrmachtsstiefel noch mal mächtig ins Pedal, da orgelt der Reichstugendführer noch mal hörsturzmäßig die Welt zusammen nach der Devise: Mit Sekundärtugen­den kann man nicht nur 'n KZ leiten! Und so steht sie dann da, sauber, zackig, stramm und deutsch, seine sogenannte „Allgemeine Erklä­rung der Menschenpflichten“, unterschrieben von sage & schreibe „26 Premierministern von 26 Staaten dieser Erde!“
Die aber Gottseidank alle schon „a.D.“ sind, also außer Betrieb. Und das, meine Damen und Herren, das läßt uns doch wieder hoffen, oder?

Feb. 1999

Redaktion: Frank Becker