Einen Text selbst sprechen lassen

„Novecento“ als Konzertlesung in Düsseldorf

von Martin Hagemeyer

Friedrich von Thun - Foto © teamWorX
Einen Text selbst sprechen lassen
„Novecento“ als Konzertlesung in Düsseldorf
 
Eine Konzertlesung des Textes „Novecento“ von Alessandro Baricco in Düsseldorf bot jetzt eine schöne Gelegenheit zum Vergleich, wenn man schon eine Weile in der Region ins Theater geht: In der Saison 2012/13 war diese „Legende des Ozeanpianisten“ bei den Wuppertaler Bühnen im Programm. Der junge Schauspieler Hendrik Vogt hatte sie damals noch im Kleinen Schauspielhaus als Ein-Mann-Inszenierung gespielt, ausstaffiert als versoffener Seebär – ein Werk, von dem aber Baricco selbst gesagt hatte, er sei sich nicht sicher, ob es überhaupt Theater sei.
Der Robert-Schumann-Saal nun bot da statt Kammerspiel zwar gewaltige Dimensionen, die ja nicht zwingend Qualitätsmaßstab sind: Im klassischen Konzertrahmen las der als Fernsehdarsteller bekannte Friedrich von Thun („Die Verbrechen des Professor Capellari“ und vieles mehr), begleitet von einem Jazz-Trio um den virtuosen Jazzpianisten Max Neissendorfer. Aber die Wahl der Kunstform, nämlich Lesung statt Stück: Sie tat dem Text gut.
 
Dabei bedeutet die Livemusik, auf die in Wuppertal verzichtet worden war, zunächst einmal natürlich eine Relativierung der Worte. Das Neissendorfer-Trio mit Karsten Gnettner am Kontrabaß und Stephan Eppinger am Schlagzeug intonierte beschwingt Jazzstandards wie „Summertime“, begleitend zum Vortrag. Das gab dem Abend eine schöne, heitere Note und lag vom Inhalt nahe, weil es um Musiker geht: um die Lebensgeschichte des Ozeanpianisten in den Worten seines Bandkollegen. Die Titel changierten zwischen Soundtrack und Verortung: Sie dienten als launige Kommentare und manchmal auch zur Illustration des Schauplatzes, nämlich des Decks, auf dem musiziert wird. Weiter illustriert wird nicht.
 
Denn Friedrich von Thun bot schon optisch eine sehr klassische Lesung: Anzug, Hocker, Wasserglas. Klar, das schafft Distanz zum verschrobenen Seebären. Und sie könnte leicht zum Kontrast werden, wenn die Worte in Seebär-Manier schon einmal etwas deftiger geraten: „Bei dem Wellengang konnt' man nicht mal mehr grade pissen.“ Aber tatsächlich wirkt derlei Unfeines hier keine Spur befremdlich – eher wie charmante Ausreißer, die den Eindruck des souveränen Erzählers eher noch verstärken.
Und hier kommt denn dem Abend sehr zupaß, daß Friedrich von Thun keine dreißig mehr ist. Keine Kostümierung, die vorschriebe, in dem Mann auf der Bühne einen alten Halunken zu sehen. Dafür eine gesetzte Erscheinung, die ebendies von sich aus nahelegt: Vor allem Thuns sonore Stimme lädt ein, sich zu identifizieren und so statt eines Vorlesers die Figur zu hören.
 
Man könnte einwenden, daß ein Konzertsaal wie dieser einen allzu staatstragenden Rahmen gäbe für kraftvolle Seefahrerlegenden. Daß der Gestus des Grandseigneurs aus wilder Meeresluft süßliche Harmonie machen würde, anders als in einer offen rotzigen Version. Und der Promi-Bonus für sich macht natürlich noch keine gute Vorstellung.
Aber: Der Ansatz vermeidet das Problem, das sich in Wuppertal ergab – daß da nämlich eine Figur sehr präsent war, die aber letztlich nur ein fremdes Leben vorstellte. Bei allem engagierten Spiel Hendrik Vogts damals sah man einen Mann, der, via Alter unverkennbar, eine Rolle spielte. Und sah zu, wie er ein Leben erzählte, das nicht seines war. Umso drängender fragte sich seinerzeit, was er denn dann war. Mit derlei Problemen muß Thun sich nun nicht herumschlagen: Er leiht bloß seine Stimme – an eine Geschichte, die von Eigensinn und Unendlichkeit handelt und für sich spricht. Ob nun mit oder ohne Figurenrede.
 
Martin Hagemeyer