Welten- und Liebesträume eines Phantasten

Benedikt von Peters „Aida“ kommt auf Berlin zu

von Ingrid Wanja

Welten- und Liebesträume
eines Phantasten
Radames oder Benedikt von Peter?
 
Selten wohl wurde einem Berliner Opernereignis derart ungeduldig entgegen gefiebert wie der Premiere von Verdis „Aida“ am 22.11. (morgen) in der Deutschen Oper Berlin, hatte doch Regisseur Benedikt von Peter durch eine Reihe von Statements die Erwartungen ins fast Unermeßliche hochgeschraubt.
 
Zunächst einmal in Erstaunen versetzt hatte er Opernfreunde und solche, die es durch seine Arbeiten vielleicht werden könnten, mit Behauptungen wie: „Die Frauen bei Verdi haben keine Biographie, sie kommen aus dem gesellschaftlichen Nichts.“ Nun muß er Aida immerhin zugestehen, daß man über ihre Herkunft als äthiopische Prinzessin Bescheid weiß, aber wie sieht es mit anderen Verdi-Figuren aus?! Violettas Liebesleben scheitert daran, daß sie eine auch dem Zuschauer nur allzu wohlbekannte Vergangenheit hat, die von Azucena wird gleich zweimal, von Ferrando und ihr selbst dem Zuschauer vermittelt, auch Desdemona ist zwar unschuldig, aber durchaus kein unbeschriebenes Blatt.
 
Mit Radames scheint sich der Regisseur besonders gern anzulegen, wirft er ihm doch vor, daß der gemeinerweise nicht stirbt, er bleibt allein zurück und „ist unfähig zur Veränderung“. Welcher Grad von Veränderung sein Verdienst ist, kann der aufmerksame Zuschauer dem Nilakt entnehmen, aber der arme Radames ist halt für die Regie eine „narzistisch verklärte Figur, die allerdings für etwas anderes steht“. Leider erfährt der Leser des Interviews nicht, was dieses geheimnisvolle Andere ist. Orpheus bekommt bei dieser Gelegenheit auch gleich sein Fett weg, denn „er läßt seine Frau in der Hölle zurück“.     
 
Daß „Aida“ Verdis pessimistischstes Werk ist, kann man auch so recht nicht glauben, denn viel schlimmer als der Liebestod von Radames und Aida dürfte der Mehrheit der Zuschauer das Ende von Desdemona und Otello, der betrogene Rigoletto neben der durch seine Schuld zu Tode gekommenen Tochter vorkommen.
 
Benedikt von Peter behauptet, in „Aida“ könne der Einzelne nichts mehr bewirken, nicht einmal das Böse, wie es der Großinquisitor in „Don Carlo“ vertritt. Es gibt „nur die anonyme Gruppe der Priester“. Und was ist mit Ramfis, der im ersten Bild sogar allein, ohne die anderen Priester auftritt, ansonsten mehr als ihr Vorbeter ist, sei es im Triumph-Akt oder in der Gerichtsszene mit dem „Traditor“.
 
Beim Kartenkauf mußte der Interessierte zur Kenntnis nehmen, daß es räumliche Veränderungen im Zuschauerraum gebe. Wie und warum das? Ein „spezifischer Klang des Werks erfordert eine spezifische Architektur“, belehrt uns Benedikt von Peter. Da hätten wir doch gern gewußt, welches dieser spezifische Klang von „Aida“ ist. Nur die Aida-Trompeten können damit doch wohl nicht gemeint sein. Irgendwie schimmert durch, daß Sänger und Orchestermitglieder sich ins Publikum begeben werden, denn „dadurch kann der kriegerische Gesellschaftsaufbau eine größere Dringlichkeit erlangen“. Aha, aber was ist mit dem Armen, in dessen Ohr keine Aida-Trompete bläst und kein Tenor seinen Weltschmerz heult? Ihm bleibt das verwehrt, was der erlebt, dem die „Brutalität des Machtapparats physisch erfahrbar“ wurde, „wenn der Klang unmittelbar neben seinem Ohr erzeugt wurde“ Aber vielleicht hat der Regisseur längst eine Lösung für dieses Problem gefunden, denn schließlich ist er sich sicher: „Ich versuche immer die zentrale Energie eines Werks erwischen“. (Das „zu“ ging ihm dabei durch die Lappen, so wie es ihm entwischte, daß man diese zentrale Energie auch gern erfahren hätte.)
 
Ist es ein Vorwurf oder mitleidige Nachsicht, wenn die „larmoyante Aussage der Oper“ damit begründet wird, daß Benedikt von Peter feststellen muß: „Die Figuren sind vielfach zersplittert, auch weil Verdi kein Theoretiker und stringent denkender Dramaturg war“. Ach nein, er war ja nicht einmal der Librettist von „Aida“ und zum Glück erst recht kein „stringent denkender Dramaturg“. Von denen gibt es heute zur Rettung des Werks und zur Freude des Publikums genügend viele.   
 

Über seine kommende Intendantenzeit in Luzern meint Benedikt von Peter hochgemut: „Ich will gleich zu Beginn ein volles Haus.“ Dann sollte er seine Regisseure sorgfältig auswählen.
 
Ingrid Wanja
 

Eine Übernahme aus „Der Opernfreund“ mit freundlicher Erlaubnis
Die Karikaturen sind vom Opernfreund-Hauszeichner Peter Klier