Buh-Orkan bereits zur Pause

Benedikt von Peters „Aida“ an der Deutschen Oper ein Fiasko

von Ingrid Wanja
Buh-Orkan bereits zur Pause
AIDA-Premiere in Berlin am 22.11.2015

 

Teuer zu stehen kommen wird die Deutsche Oper ihre Neuinszenierung von Verdis „Aida“, selbst wenn sie die gesparten Kostüme für Chor und einen Teil der Solisten und für das Ballett in Rechnung stellt, denn ein großer Teil der Sitzplätze, darunter die teuersten, ist mit dieser Produktion nicht verkaufbar, es dürften sich kaum renommierte Sänger finden, die in sie einsteigen möchten oder auch nur können, und die Aufnahme des Regieteams mit einem Buh-Orkan ohne gleichen wird sich auch schnell herumsprechen.
Hatte man nach der verkorksten Sekten-Aida, in der Radames Aida in einem Taufbecken ertränkt, um danach Amneris zu heiraten, auf eine würdigere Inszenierung, vielleicht sogar auf ein Wiederaufleben der Götz- Friedrich-Produktion, die nach Aussage von Intendantin Kirsten Harms aufbewahrt werden sollte, gehofft, so ist nun alles noch viel absurder, lächerlicher und sängerverachtender geworden.
Regisseur Benedikt von Peter läßt beim späten Einlaß des Publikums Radames bereits auf einem in den Zuschauerraum hinein gebauten Podest hocken, einen Fetzen von Brautkleid an sich gedrückt, der ihn durch die gesamte Inszenierung begleiten wird, wenn nicht gerade einmal Amneris ihre Wut daran ausläßt. Und vielleicht ist er, wenn der letzte erboste Zuschauer den Saal verlassen hat, wieder dorthin zurück gekehrt, den er hatte sich recht wohnlich mit Kerze, Lesestoff und Wasserflasche in seiner Gruft eingerichtet, lediglich die Wurst vergessen, von der ihm Amneris bereits einige Scheiben auf eine liebevoll geschmierte Butterstulle gelegt und zum häuslichen Mahl die Serviette um den Hals gebunden hatte.
Benedikt von Peter hatte es sich zugute gehalten, nicht wie 80 Prozent seiner Kollegen aus Aida eine Putzfrau zu machen, bei ihm kümmerte sich um häusliche Belange wie Tischwischen und –abräumen die Pharaonentochter, zwar nicht im Blaumann, dafür aber in einer Art Blaufrau (Kostüme Lene Schwind), dazu mit strengem blondem Zopf und ebensolcher Miene. Sie will Aida weismachen Radames sei tot, obwohl er neben ihr steht, am Ende ersticht sie sich, vielleicht weil sie als einzige Amneris in der Geschichte des Hauses nach der Gerichtsszene durch die Schuld der Regie keinen Beifall erhielt, steht aber zum „Pace“ noch einmal auf. Aida ist eher eine immer an der Wand lang huschende Geistererscheinung, eine Gespensterbraut, als ein lebendiger Mensch, sie stirbt im 2. Rang Loge B, der Chor ist teilweise im Publikum verteilt (daß es trotzdem keine Ausfälle gab, ist das Verdienst von William Spaulding), die tiefen Solistenstimmen sind vernehm-, ihre Besitzer aber nicht sichtbar, da sie vom 1. Rang herab singen. Das gibt ein unausgeglichenes Klangbild, auch wenn Dirigent Andrea Battistoni mit wilder Gestik und akrobatischen Hopsern, als gelte es eine banda militare in Schach zu halten, das Ganze einigermaßen zusammenhält. Das Orchester befindet sich auf der Bühne hinter einem Schleier und besticht vor allem durch die Leistungen der Instrumentalsolisten, erweckt den Eindruck, als wolle es mit aller Macht gegen den Schwachsinn der Szene anspielen.

 
Am schlimmsten spielt die Regie dem Sänger des Radames mit, der ständig als wahrer Jammer-und Waschlappen auf der Bühne sein muß, dadurch wohl weder als Feldherr noch als großmütiger Gefangenenbefreier tätig werden kann, denn es ist die Zeitungsleserin Amneris (eine Video-Wand vergrößert, was sich auf der Bühne abspielt, und so sehen wir sogar klar und deutlich den angetrockneten Kaffeesatz in Radames‘ Tasse), die ihm die sorgfältig ausgeschnittenen Fotos von Syrienflüchtlingen an die Brust geheftet hat und die es, wovon auch immer, zu befreien gilt. Was übrigens die zahlreichen Monitore mit Portraits an allen Ecken und Enden bewirken sollten, bleibt völlig im Unklaren (Bühne Katrin Wittig, Videos Bert Zander).
Ist es ein Zufall, daß die Sänger, die nicht von „Regie“ behelligt wurden, auch die besten Leistungen zeigten, und kann eine unzumutbare „Inszenierung“ die vokale Leistung beeinträchtigen? Es scheint so, denn die feine, sanfte Stimme von Adriana Ferfezka als Sacerdotessa konnte ebenso gefallen wie der kraftvolle Tenor von Attilio Glaser. Als Messaggero Ante Jerkunica sang eine balsamisch klingenden Re, etwa knorriger und dunkler war der Baß von Simon Lim als Ramfis, Markus Brück brillierte mit einem weiteren Rollendebüt als Amonasro, dem er auch sanfte, väterliche Töne neben allem Auftrumpfen im Nilakt verleihen konnte, den er aber nicht zu oft singen sollte. In diesem wurde besonders deutlich, welcher Irrsinn die Trennung der Solisten in Bühnen- und in Balkonsinger war.
Alfred Kim, eigentlich mit einem eher heldisch klingenden Timbre begabt, klang über lange Strecken ausgesprochen weinerlich, nachdem er „Celeste Aida“ mit machtvollem Aplomb anstelle des morendo beendet hatte. Oft hatte man den Eindruck, ein Charaktertenor hätte sich des Ägypters angenommen. Tatjana Serjan hat einen dunkel getönten, charaktervoll klingenden Sopran, der sie nicht unbedingt für die Aida prädestiniert, für die die Stimme nicht rund und warm und nicht instrumental geführt klang. Ihre Piani allerdings, vor allem bei den oft angeflehten „numi, pietà“ waren berückend schön. Anna Smirnova ist auf dem Papier eine ideale Amneris, aber auch sie musste wegen der Tollereien der Regie ihrem Mezzosopran scharfe, unschöne Töne beimischen, konnte nur in den ruhigeren Teilen der Gerichtsszene und im Boudoir zeigen, was ihr an schöner Mezzostimme zur Verfügung steht. Und eine Zumutung für an sich schon hart geforderte Sängersolisten ist es, anstelle des Triumphzugs eine lächerliche Pantomime aufführen zu müssen. Gab es da im Haus keinen Anwalt für die Sänger?   
Zum Glück wußte das Publikum zwischen der Leistung der Sänger und dem, was ihnen die Regie antat, zu unterscheiden, feierte die Ersteren frenetisch und strafte die Letzteren angemessen ab.  
 
23.11.2015 Ingrid Wanja
Fotos © Marcus Lieberenz
 
Eine Übernahme von „Der Opernfreund“ mit freundlicher Erlaubnis