Mensch und gnadenlose Natur

„The Revenant“ von Alejandro G. Iñárritu

von Renate Wagner

The Revenant
(USA 2015)

Regie: Alejandro G. Iñárritu
Mit: Leonardo DiCaprio, Tom Hardy, Domhnall Gleeson u.a.
 
So dumm es klingt: Leiden im Kino ist was Tolles, wenn bzw. weil es auf der Leinwand geschieht. Man sitzt im doch sehr bequemen Sessel und sieht zu, was andere Menschen zu bewältigen haben. Im Fall von Hugh Glass handelt es sich um eine historische Überlebens-Geschichte, die hier in gnadenloser Form den Weg auf die Leinwand fand.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Weiten der USA, weiße Trapper im Indianerland, gleich zu Beginn gibt es ein brutales Gemetzel, und fraglos ist klar: Es wird hart zugehen in den nächsten mehr als zweieinhalb (!) Stunden – die stehen nämlich bevor. Sie sind, um es vorweg zu nehmen, nicht die unterhaltendsten oder spannendsten, die man je erlebt hat. Im Gegenteil. In aller Breite spielt sich die Brutalität ab, die den ganzen Film als Stimmung durchzieht. Grausamkeit, teilweise zwischen Mensch und Mensch, teilweise zwischen Mensch und Tier, vor allem aber zwischen Mensch und gnadenloser Natur… Winter, Schnee, Eis, Stürme, eisige Flüsse. Immer wieder dasselbe. Und mittendrin der Mann, der eigentlich tot sein sollte.
 
Diesen Hugh Glass gab es wirklich, 1823 war er mit seinen durchaus rauhbeinigen Gefährten unterwegs, das Land zu erforschen (und offenbar in Richtung zum nächsten Fort, das er erst ganz am Ende erreicht). Ein Grizzly fiel ihn an: Dieser schier nicht endende Kampf ist einer der grausamen „Höhepunkte“ des Films. Von entsprechender Seelenkälte ist der rücksichtslose (vielleicht irgendwo auch verständliche) Überlebenstrieb der anderen (mit Tom Hardy an der Spitze): Die halten jede Genesung des zerfleischten Mannes für ausgeschlossen, kämen gar nicht auf die Idee, ihn mitzunehmen, haben aber dann auch nicht den Nerv, ihn vom seinem Leiden zu erlösen, zumal er das gar nicht zu wollen scheint und auf das Angebot der Tötung so gar nicht eingeht. Ihre Lösung ist schlimm und für Zuschauer mit etwas Gefühl und Sensibilität kaum anzusehen: Sie graben ihn lebendig ein…
Der Rest des Films gehört, bis auf die Passagen am Ende, dann Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio allein: Unheimlich dieses „Monster“, das aus der Erde kriecht und nun einfach durch die schrecklich rauhe, kalte Welt hetzt, weil er eben nicht sterben will. „Survival“-Movie nennt sich dergleichen, es gab viele davon, das ist eines der härtesten.
 
Wir erleben – und da sorgt Regisseur Alejandro G. Iñárritu als Ausgleich für das Leiden für betont ästhetische Landschaftsbilder – die Steppe, die Bäume, die Wasserfälle, gelegentlich begegnet man Indianern, aber im Grunde ist Glass allein in der Wildnis, ein wildbärtiger Rübezahl mit starrem Blick.
Man vermöchte nachher keine „Handlung“ nachzuerzählen, weil man das Gefühl hat, immer dasselbe zu sehen, und man fragt sich, was diesen Mann, der nichts sagt, sondern nur da ist, treibt. Lebenswille, gewiß, an seinen Taten muß man ihn erkennen. Als er einmal ein Pferd stiehlt und dieses ihm dann wegstirbt, ist es ein weiterer schauriger Höhepunkt, wenn er es aufschneidet, die Innereien herausholt und dann in dem Kadaver schläft…
Man weiß, daß Hugh Glass überlebt hat, der Film basiert schließlich auf dem Roman „Der Totgeglaubte“ von Michael Punke, der dessen Geschichte erzählt, aber mit der Realität dieses Überlebens gibt sich der Film nicht ab. Auch die letzten Drehungen und Wendungen des Drehbuchs, wenn es für den geretteten Glass an seine „Rache“ geht, wirken eher wirr. Aber sie sind nur ein kleiner Teil des Films. Der Rest ist Leonardo in der wilden Natur…
Der mexikanische Regisseur Alejandro G. Iñárritu, der mit „Birdman“ den bisherigen Höhepunkt seiner Karriere erlebte (nicht jeder verstand, daß er dafür den „Oscar“ als bester Film erhielt…), hat bisher meist verschrobene, patchworkartige Filme gedreht. Hier setzt er auf ein Epos, das sich ungemein spirituell gibt (und das gelegentlich bis zur Affektation und auch aufgesetzter Poesie) und seine Einförmigkeit in stolzer Arthouse-Manier ausbreitet. Das ist eine gute Art, als „Kunstwerk“ eingestuft zu werden.
Wobei man die Machart selbstverständlich nur bewundern kann, auch wenn man nicht wüßte, daß bei den Dreharbeiten „alles echt“ war, die (in diesem Fall kanadische) Eiseskälte, die fast unzumutbaren Bedingungen für Darsteller und den Rest der Crew.
 
Seit man den Film gesehen hat, ist der „Oscar“ für DiCaprio ein „running“ Thema der Zeitungen. Nun, der hübsche „Titanic“-Junge hat sich auf der Leinwand schon öfter in einen häßlichen mittelalterlichen Mann verwandelt (am überzeugendsten als Edgar J. Hoover): Hier ist er, unter Bart und im Fell, riesig und doch vor Anstrengung ausgemergelt, fast nicht zu erkennen. Die verzweifelte Intensität, mit der er um sein Leben kämpft, ist allerdings als darstellerische Leistung unwiderstehlich – so sehr man sich auch in Schnee und Eis und Leere Stunde um Stunde (gefühlte zehn etwa?) langweilen mag, die Faszination durch dieses Schicksal trägt DiCaprio in aller Dramatik auf seinen Schultern.
 
 
Renate Wagner