Tête-à-tête mit dem Kaiser

Napoleon und die Franzosen im Rheinland (4)

von Konrad Beikircher

Tête-à-tête mit dem Kaiser (4)
 
Napoleon und die Franzosen im Rheinland

Die ledijen Mütter waren nun im Trakt für weibliche Geschlechtskranke untergebracht in Zimmern, in denen auch Fenster waren. Und genau darin lagen das Problem – und abends die Mädchen, was natürlich immer wieder zu großer Aufregung führte – in jedweder Hinsicht. Gemessen an heutigen Kriterien, die man an Krankenhäuser stellt, war das Ganze ein einziger Gemischtwarenladen, aber das hindert alles den Fortschritt nicht, fortzuschreiten. Der medizinische Fortschritt war nicht nur in Paris und Berlin, nee, der war auch in Köln.
Eine weithin von Historikern unbeachtete Auswirkung war eine, über die ein Jurist und Beigeordneter der Stadt Bonn in der Franzosenzeit berichtet, der Jakob Müller. Der schrieb 1805, ich zitiere:
„Niemals hat man so viel von Kirmeslustbarkeiten und neu erbauten Tanzsälen auf den Dörfern gehört wie jetzt… In den schlechten Zeiten, wo jeder über Geldmangel klagt, ist doch alle Sonntags Gesellschaftsball, Montags Redoute oder Konzert bei Simrock, Dienstags Casino-Gesellschaft, Mittwochs, Schauspiel, Donnerstags Casino-Ball, Freitags Freimaurer-Versammlung, Samstags wieder Schauspiel und dabei alles so zahlreich und glänzend, als wenn man die besten Zeiten erlebte“.
Ich meine: da kommen wir schon ein bißchen hinter das Geheimnis der Mystifizierung der Franzosenzeit, oder?! Wenn das so war, wie wir bisher gehört haben, dann liegt der Schritt, diese Zeit als die gute alte zu bezeichnen, ziemlich nah, egal, wie historisch unkorrekt dat es oder nicht. Plötzlich wird einem klar, warum in jedem Haus eine Napoleon-Statuette stand, irden oder gußeisen, ejal, Hauptsach knuddelig und es ist auch klar, daß man sich gerne in Französismen wälzte. Wobei, wo Sie jrad sagen: Französismen: die „Fisimatenten“ haben nix mit Napoleon zu tun, aber auch gar nix. Diese Mythen halten sich hartnäckig und die Philologen ärgern sich darüber vert et jaune – jrön un jääl. Heißt ja immer: Fisimatenten käme davon, daß die napoleonischen Soldaten die Mädchen mit der Anmache „Visitez ma ténte“ in ihre Zelte gelockt hätten, is aber nicht. Ich meine nicht, daß sie nicht gelockt hätten aber daher kommen die Fisimatenten nicht.
Sie kommen auch nicht aus dem Lateinischen „visae patentes litterae“ (amtlich geprüfte Papiere) und wären damit einem Synonym für bürokratische Umständlichkeit. Die Fachleute, und dazu gehört in allererster Linie der Georg Cornelissen, dessen Bücher und Arbeiten ich jedem sprachlich Interessierten nur empfehlen kann, die Fachleute also haben herausgefunden, daß das Wort schon 1499 in einer kölschen Chronik, der Koelhoffschen, vorkommt: „it is ein viserunge ind ein visimetent, ind der is unzellich vil“ unbd damit ist gemeint, daß die Gerüchte, Deutz sei älter als Köln und sei vor Jahrhunderten auch größer gewesen als Köln, frei erfunden sind, das seien frei erfundene Schilderungen (viserungen) und Fisimatenten! Klör, Farbe, ist auch nicht napoleonisch, das ist aus dem Niederländischen erövvergewandert, und das berühmte Merl für Amsel – wo es immer heißt: Napoleon wäre bei Meckenheim in ein Dorf geritten und hätte da Amseln gesehen, was er mit dem Ruf „Merles! Merles!“ quittiert habe, und seitdem hieße das Dorf Meckenheim – Merl - nee, nee, das kommt direkt aus dem lateinischen merula, Amsel. Also, wie gesagt: Cornelissen, der weiß es und es lohnt sich, ihn zu lesen, dann weiß mans auch. Daß sich dennoch die „schönen“ Erklärungen wie visitez ma ténte halten, hat damit zu tun, daß sie einfach schön und einleuchtend sind.  
 
Und da sind wir mittendrin bei den Auswirkungen von unserem Kaiser auf die Rheinlande und das ist ein weites Feld. Ich kann da nur ganz vage hier und da wat herausgreifen und weil ich schöne Sprache so gerne habe, möchte ich da mal ein bißchen schauen, und weil ich Beethoven so liebe, gucken wir auch zu ihm und weil ich Südtiroler bin, komme ich zu Andreas Hofer.
Lommer mit der Romantisierung von unserem Emperör anfange, weil das schon interessant ist. Selbst unser Heinrich Heine ist da unter die Wortführer gegangen, als er seine „Grenadiere“ schrieb:
 
1811 erlebte der 13-jährige Heine den Einzug Napoleons in Düsseldorf. Bayern hatte die Stadt und das Herzogtum Berg 1806 an Frankreich abgetreten, so daß Heine später Anspruch auf die französische Staatsbürgerschaft erheben konnte. Den Kaiser der Franzosen verehrte er zeitlebens für die Einführung des Code civil, der Juden und Nicht-Juden gesetzlich gleichstellte.
In den Jahren 1815 und 1816 arbeitete Heine als Volontär zunächst bei dem Frankfurter Bankier Rindskopff. Damals lernte er in der Frankfurter Judengasse das bedrückende und ihm bis dahin fremde Ghettodasein der Juden kennen. Heine und sein Vater besuchten damals auch die Frankfurter Freimaurerloge Zur aufgehenden Morgenröte. Unter den Freimaurern erfuhren sie die gesellschaftliche Anerkennung, die ihnen als Juden oft verwehrt blieb. Viele Jahre später, 1844, wurde Heine Mitglied der Loge Les Trinosophes in Paris.
1816 wechselte er ins Bankhaus seines wohlhabenden Onkels Salomon Heine in Hamburg. Salomon, der im Gegensatz zu seinem Bruder Samson geschäftlich höchst erfolgreich und mehrfacher Millionär war, nahm sich des Neffen an. Bis zu seinem eigenen Tod im Jahr 1844 unterstützte er ihn finanziell, obwohl er wenig Verständnis für dessen literarische Interessen hatte. Überliefert ist Salomons Ausspruch: „Hätt’ er gelernt was Rechtes, müsst er nicht schreiben Bücher.“ Schon während seiner Schulzeit auf dem Lyzeum hatte Harry Heine erste lyrische Versuche unternommen. Seit 1815 schrieb er regelmäßig, und in der Zeitschrift Hamburgs Wächter wurden 1817 erstmals Gedichte von ihm veröffentlicht.
Die Grenadiere hat er 1816 geschrieben, sie kamen dann ins Buch der Lieder unter „Romanzen“.
 
 
Die Grenadiere

Nach Frankreich zogen zwei Grenadier,
Die waren in Rußland gefangen.
Und als sie kamen ins deutsche Quartier,
Sie ließen die Köpfe hangen.
Da hörten sie beide die traurige Mär:
Daß Frankreich verloren gegangen,
Besiegt und zerschlagen das große Heer –
Und der Kaiser, der Kaiser gefangen.
Da weinten zusammen die Grenadier
Wohl ob der kläglichen Kunde.
Der eine sprach: Wie weh wird mir,
Wie brennt meine alte Wunde!
 
Der andre sprach: Das Lied ist aus,
Auch ich möcht mit dir sterben,
Doch hab ich Weib und Kind zu Haus,
Die ohne mich verderben.
Was schert mich Weib, was schert mich Kind,
Ich trage weit beßres Verlangen;
Laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind –
Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!
Gewähr mir, Bruder, eine Bitt:
Wenn ich jetzt sterben werde,
So nimm meine Leiche nach Frankreich mit,
Begrab mich in Frankreichs Erde.
Das Ehrenkreuz am roten Band
sollst du aufs Herz mir legen;
Die Flinte gib mir in die Hand,
Und gürt mir um den Degen.
 
So will ich liegen und horchen still,
Wie eine Schildwach, im Grabe,
Bis einst ich höre Kanonengebrüll
Und wiehernder Rosse Getrabe.
Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab,
Viel Schwerter klirren und blitzen;
Dann steig ich gewaffnet hervor aus dem Grab,
Den Kaiser, den Kaiser zu schützen.
 
 
Es lohnt sich aber sehr, bei Heinrich Heine ein bißchen genauer hinzugucken und das kann man im Werk: „Ideen. Das Buch Le Grand“. Dort nämlich erzählt er als Düsseldorfer von Napoleon und wie das so war, als der kam und da brauch ich gar nix mehr zu kommentieren.
 
Heine also erzählt vom Wechsel der Wittelsbacher zu den Franzosen in Düsseldorf 1806:

„Damals waren die Fürsten noch keine geplagte Leute wie jetzt, und die Krone war ihnen am Kopfe festgewachsen, und des Nachts zogen sie noch eine Schlafmütze darüber, und schliefen ruhig, und ruhig zu ihren Füßen schliefen die Völker, und wenn diese des Morgens erwachten, so sagten sie: ,guten Morgen, Vater!' - und jene antworteten: ,guten Morgen, liebe Kinder!’
Aber es wurde plötzlich anders; als wir eines Morgens zu Düsseldorf erwachten, und ,guten Morgen, Vater!' sagen wollten, da war der Vater abgereist, und in der ganzen Stadt war nichts als stumpfe Beklemmung, es war überall eine Art Begräbnißstimmung, und die Leute schlichen schweigend nach dem Markte, und lasen den langen papiernen Anschlag auf der Thüre des Rathhauses. Es war ein trübes Wetter, und der dünne Schneider Kilian stand dennoch in seiner Nanquingjacke, die er sonst nur im Hause trug, und die blauwollnen Strümpfe hingen ihm herab, daß die nackten Beinchen betrübt hervorguckten, und seine schmalen Lippen bebten, während er das angeschlagene Placat vor sich hinmurmelte. Ein alter pfälzischer Invalide las etwas lauter, und bey manchem Worte träufelte ihm eine klare Thräne in den weißen, ehrlichen Schnautzbart. Ich stand neben ihm und weinte mit, und frug ihn: warum wir weinten? Und da antwortete er: ,der Kurfürst läßt sich bedanken.' Und dann las er wieder, und bey den Worten ,für die bewährte Unterthanstreue', und entbinden Euch Euer Pflichten', da weinte er noch stärker - [ ... ] Während wir lasen, wurde auch das kurfürstliche Wappen vom Rathhause heruntergenommen, alles gestaltete sich so beängstigend öde, es war, als ob man eine Sonnenfinsterniß erwarte, die Herren Rathsherren gingen so abgedankt und langsam umher [ ... ]. Ich aber ging nach Hause, und weinte und klagte: ,der Kurfürst läßt sich bedanken'. Meine Mutter hatte ihre liebe Noth, ich wußte was ich wußte, ich ließ mir nichts ausreden, ich ging weinend zu Bette, und in der Nacht träumte mir: die Welt habe ein Ende - die schönen Blumengärten und grünen Wiesen wurden wie Teppiche vom Boden aufgenommen und zusammengerollt, der Gassenvogt stieg auf eine hohe Leiter und nahm die Sonne vom Himmel herab, der Schneider Kilian stand dabey und sprach zu sich selber: ,ich muß nach Hause gehn und mich hübsch anziehn, denn ich bin todt, und soll noch heute begraben werden.

Als ich erwachte, schien die Sonne wieder wie gewöhnlich durch das Fenster, auf der Straße ging die Trommel, und als ich in unsre Wohnstube trat und meinem Vater, der im weißen Pudermantel saß, einen guten Morgen bot, hörte ich, wie der leichtfüßige Friseur ihm während
des Frisirens haarklein erzählte: daß heute auf dem Rathhause dem neuen Großherzog Joachim gehuldigt werde, und daß dieser von der besten Familie sey, und die Schwester des Kaisers Napoleon zur Frau bekommen, und auch wirklich viel Anstand besitze, und sein schönes schwarzes Haar in Locken trage, und nächstens seinen Einzug halten und sicher allen Frauenzimmern gefallen müsse. Unterdessen ging das Getrommel, draußen auf der Straße, immer fort, und ich trat vor die Hausthür und besah die einmarschierenden französischen Truppen, das freudige Volk des Ruhmes, das singend und klingend die Welt durchzog, die heiter-ernsten Grenadiergesichter, die Bärenmützen, die dreyfarbigen Kokarden ... Ich freute mich, daß wir Einquartierung bekämen - meine Mutter freute sich nicht - und ich eilte nach dem Marktplatz. Da sah es jetzt ganz anders aus, es war, als ob die Welt neu angestrichen worden, ein neues Wappen hing am Rathhause, das Eisengeländer an dessen Balcon war mit gestickten Sammetdecken überhängt, französische Grenadiere standen Schildwache, die alten Herren Rathsherren hatten neue Gesichter angezogen und trugen ihre Sonntags röcke, und sahen sich an auf französisch und sprachen bon Jour ....“

und dann sieht er Napoleon:

„Aber, wie ward mir erst, als ich ihn selber sah, mit hochbegnadigten, eignen Augen, ihn selber, Hosiannah! den Kaiser.
Es war eben in der Allee des Hofgartens zu Düsseldorf. Und der Kaiser mit seinem Gefolge ritt mitten durch die Allee, die schauernden Bäume beugten sich vorwärts, wo er vorbeykam, die Sonnenstrahlen zitterten furchtsam neugierig durch das grüne Laub, und am blauen Himmel oben schwamm sichtbar ein goldner Stern. Der Kaiser trug seine scheinlose grüne Uniform und das kleine, welthistorische Hütchen.
Er ritt ein weißes Rößlein, und das ging so ruhig stolz, so sicher, so ausgezeichnet - wär' ich damals Kronprinz von Preußen gewesen, ich hätte dieses Rößlein beneidet. Nachlässig, fast hängend, saß der Kaiser, die eine Hand hielt hoch den Zaum, die andere klopfte gutmüthig den Hals des Pferdchens - Es war eine sonnigmarmorne Hand, eine mächtige Hand, eine von den beiden Händen, die das vielköpfige Ungeheuer der Anarchie gebändigt und den Völkerzweykampf geordnet hatten - und sie klopfte gutmüthig den Hals des Pferdes. Auch das Gesicht hatte jene Farbe, die wir bey marmornen Griechen- und Römerköpfen finden, ... und auf diesem Gesichte stand geschrieben: Du sollst keine Götter haben außer mir. Ein Lächeln, das jedes Herz erwärmte und beruhigte, schwebte um die Lippen - und doch wußte man, diese Lippen brauchten nur zu pfeifen - et la Prusse n'existoit plus - diese Lippen brauchten nur zu pfeifen - und die ganze Klerisey hatte aus geklingelt - diese Lippen brauchten nur zu pfeifen - und das ganze heilige römische Reich tanzte.“
 
Napoleon muß für die Deutschen republikanisch gesinnten Menschen schon zu Lebzeiten ein unglaublicher Mythos gewesen sein. Außerdem polarisierte er, wie man heute sagen würde. Jetzt meine ich damit nicht sein militärisches Tun, die Kontinentalsperre etc sondern ihn als Person.
So klein wie er war, der Drecksack, er muß was gehabt haben, was seit Barbarossa keiner mehr hatte – und von dem hatte man ja auch nichts mehr gehört, seit er im Kyffhäuser verschwand. Er geriet zu einer schon beinahe überirdischen Gestalt.
 
Und wie jetzt meine alte Heimat, Tirols Süden da hineinpaßt, erzähle ich Ihnen gerne in der nächsten Woche.

In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher

Redaktion: Frank Becker