Berührende Immigrantengeschichte - sensibel verfilmt

„Brooklyn“ von John Crowley

von Renate Wagner

Brooklyn
(Irland / GB / Canada 2015)

Regie: John Crowley
Mit: Saoirse Ronan, Emory Cohen, Jim Broadbent, Domhnall Gleeson u.a.
 
Irland ist auch heute noch kein reiches Land, aber die Lage für die Bevölkerung war in früheren Zeiten noch schlimmer. Es waren entweder entsetzliche Hungersnöte, die sie nach Amerika trieben – oder in den fünfziger Jahren die absolute Aussichtslosigkeit für ambitionierte Leute in den Kleinstädten. Das erzählt der Film „Brooklyn“, der seinen qualitätvollen Drehbuchautor Nick Hornby (basierend auf einem Roman von Colm Tóibín) immer durchschimmern läßt. Dort, wo so vieles auf der Leinwand so glatt verläuft, hat man hier das Gefühl, wirklich „echten“ Menschen zuzusehen.
 
Dabei ist Eilis Lacey ein zwar stilles, freundliches, aber ganz normales Mädchen in einem kleinen irischen Dorf. Sie lebt mit ihrer verwitweten Mutter und ihrer älteren Schwester in bescheidenen Verhältnissen, von der Besitzerin des Ladens, in dem sie arbeitet, muß sie sich übel schikanieren lassen. Man braucht wirklich nur diese Einleitungssequenzen, um voll in die Trostlosigkeit dieses Dorfs, dieser dort geführten Leben einzutauchen.
Nennen wir sie dann „Wirtschaftsflüchtlinge“? Bei den Iren in New York liegt die Situation wohl ein wenig anders, weil sie einfach auf das Netz ihrer Landsleute zählen können – ein dort tätiger Priester, Father Flood (wunderbar: Jim Broadbent), kann Eilis auf Bitte der Schwester einen Job in einem Riesenkaufhaus in Brooklyn und Unterkunft bei einer strikten Lady besorgen, die nur junge Frauen beherbergt. Man erlebt die Überfahrt, die in der Holzklasse kein Vergnügen ist, man erlebt die Ängste bei der Einreise, ob man am Ende wieder zurück geschickt wird, und man erlebt mit Eilis die Einsamkeit und das Heimweh der ersten Zeit.
Bis sie, weil eben klug und ambitioniert (und nebenbei noch einen Buchhalterkurs besuchend), langsam Boden unter den Füßen gewinnt. Sie bewegt sich zwar hauptsächlich unter ihren irischen Landsleuten (aus Brooklyn kommt sie nie hinaus), und in einer Szene, wo die irischen Mädchen zu Weihnachten alte Männer bewirten, wird auch klar, wie schwer das Leben für diese Immigranten ist, die wohl die meisten Brücken und sonstigen Gebäude der Stadt gebaut haben. Und all schildert dieser von John Crowley ungemein still und sensibel inszenierte Film ohne die großen Dramen, mit der tragische Schicksale im Kino sonst aufgeputzt werden (während sie im Leben ja auch schlicht versickern, nicht zuletzt am Desinteresse der Umwelt).
 
Wenn Eilis sich dann in einen jungen Italiener verliebt (Emory Cohen ist als Tony Fiorello ungeheuer liebenswert), ist das für niemanden eine Tragödie – vermutlich weil beide Nationen katholisch sind und es auch bei Mamma, Papa und italienischen Brüdern gegen dieses junge Mädchen nichts einzuwenden gibt.
Die Problematik, die dieser stille Film dennoch benötigt, kommt, als Eilis’ Schwester stirbt und sie, nachdem sie Tony auf seinen Wunsch in aller Eile noch geheiratet hat, für einen Monat zu ihrer Mutter nach Hause zurück kehrt. Nicht nur, daß sie nun, mit ihrem amerikanischen Hintergrund (und den plötzlich sehr geschätzten Buchhaltungs-Fähigkeiten) für das Dorf hoch interessant und begehrt ist, gibt es da auch noch einen reichen jungen Mann (Domhnall Gleeson als Jim Farrell), der nun auch sogar für Eilis fast eine Verführung darstellen könnte.
Aber es ist glänzend, wie gezeigt wird, daß die Enge des Dorfes doch nicht mehr erträglich ist – und daß Eilis weiß, wo der Anstand und nicht zuletzt ihr Herz wohnen, ist auch klar. Keine Angst, kitschig wird es nicht. Es hat etwas Berührendes, wenn sie, nun schon im Amerika zuhause, bei der Überfahrt ihrerseits einem jungen Mädchen, das neu „hinüber“ kommt, Verhaltensratschläge geben kann – die man so dringend braucht, wenn man allein in die Fremde kommt.
 
Als dieser Roman geschrieben, auch als dieser Film gedreht wurde, konnte man nicht ahnen, daß er – von seiner Qualität ganz abgesehen – uns dieses Themas wegen (Menschen im fremden Land) doppelt berühren würde.
Es hat für die 21jährige Saoirse Ronan (unvergessen als böser Teenager in „Abbitte“, 2007) eine Golden Globe-Nominierung gegeben, bei der sie gegen die viel berühmtere Jennifer Lawrence (diese mit einer viel schwächeren Leistung) unterlag. Möge ihr das beim „Oscar“, wo die beiden wieder gegen einander antreten (und auch noch Cate Blanchett und Charlotte Rampling und Newcomerin Brie Larson für „Room“ die anderen Konkurrentinnen sind), nicht wieder passieren: Rollen wie diese gibt es selten.
 
 
Renate Wagner 20.1.16