Du sollst nicht langweilen...

„The Hateful 8“ von Quentin Tarantino

von Renate Wagner

The Hateful 8
(USA 2015)
 
Drehbuch und Regie: Quentin Tarantino
Mit: Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Jennifer Jason Leigh, Tim Roth, Bruce Dern u.a.
 
Eine gewaltige Schneelandschaft, durch die sich eine Kutsche mühsam den Weg bahnt – Wyoming, so um 1875, daß Abraham Lincoln Präsident ist, wird am Ende des Films noch eine  Rolle spielen (wenn auch eine ziemlich sinnlose). Und dann steht er da – Samuel L. Jackson. Das hatten wir doch schon, die Kutsche und der schwarze Mann. Ein Selbstzitat von Quentin Tarantino aus seinem vorangegangenen Film „Django Unchained“. Man wünschte, der Regisseur, dessen Nimbus seit „Pulp Fiction“ in der Filmwelt (und bei den Fans) schier ungeheuer ist, hätte sein Niveau gehalten. Und gar das von „Inglourious Basterds“, dem Film davor.
Aber ein Hattrick ist ihm nicht gelungen – so schwach wie in den „Hateful Eight“ war Tarantino lange nicht. Und er hat auch, man sage es gleich, selten so schwach besetzt, sprich: so viele zweitklassige Schauspieler in seinen Film gelassen. Ganz abgesehen davon, daß Christoph Waltz geradezu schreiend fehlt, was der Regisseur in Interviews selbst betont hat. Kurz, es ist kein Wunder angesichts von so viel mangelnder Überzeugungskraft, daß „The Hateful Eight“ heuer bei den „Oscar“-Nominierungen so gut wie nicht dabei ist, nur Jennifer Jason Leigh (die man auf den ersten Blick gar nicht erkennt) schaffte es zum Nebenrollen-„Oscar“ als einzige Hauptkategorie.
 
Die haßerfüllten Acht des Titels stoppeln sich so langsam zusammen in dem Film, den Tarantino in völlig ungleiche Kapitel aufgeteilt hat. In der Kutsche sitzen John Ruth, „The Hangman“ (Kurt Russell, einigermaßen machtvoll) und Daisy Domergue, Beiname „The Prisoner“, wobei man seine Zeit braucht, das Verhältnis der beiden zu beschreiben – daß er sie nämlich nach Red Rock bringen will, wo sie aufgehängt werden soll, und er kassiert das Kopfgeld. Die Delinquentin in Gestalt einer schrecklich verwahrlosten, übel herumschimpfenden Jennifer Jason Leigh scheint sich allerdings nichts zu fürchten, obwohl sie im Laufe des Geschehens unendlich viele Prügel einstecken muß (brutal muß es zugehen bei Tarantino).
Dann steht der schwarze Mann vor ihnen (damals sagte man wohl noch nicht Afroamerikaner): Major Marquis Warren, „The Bountyhunter“ genannt, Ex-Sklave und dann ehrenwerter Soldat und Kriegsheld aus dem Bürgerkrieg (der unvermeidliche Samuel L. Jackson), der begehrt, bei der Reise mitgenommen zu werden. Und dann kommt gleich noch einer: Chris Mannix (eher farblos: Walton Goggins) behauptet „The Sheriff“ von Red Rock zu sein, der künftige sozusagen, ob es wahr ist, wird eigentlich nie wirklich klar.
Da hat man also die erste Hälfte der Achter-Besatzung in der Kutsche. Eng und nicht sehr angenehm, aber vor allem – und darauf kommt es bei den Kinobesuchern an – nicht sehr unterhaltend. Das wird noch schlimmer, als die vier beschließen, angesichts des Schauerwetters bei einer Art von Schenke zu halten. In diesem Laden von Minnie bleibt man nun den äußerst faden Rest des über dreistündigen Films, wo sich die Handlung undurchsichtig verwirrt, ohne daß man mit besonderer Spannung der Klärung der Verhältnisse zusehen würde.
 
Die anderen vier Herrschaften des Titels sind dann der britische Oswaldo Mobray, „The Little Man“ (von Tim Roth so gespielt, als sei er das Bodydouble von Christoph Waltz), angeblich der in Red Rock erwartete Henker; Bob „The Mexican“ (Demián Bichir), der den Laden angeblich für Minnie führt; Joe Gage,  „The Cowpuncher“ (Michael Madsen), angeblicher Kuhhirte, von dem man gar nicht weiß, was er da will –  kurz, diese drei werden in ihren Funktionen nicht wirklich profiliert. Bei dem Ex-Südstaaten-General (wir sind in der Zeit nach dem 1865 beendeten Amerikanischen Bürgerkrieg) namens Sandy Smithers, „The Confederate“ (Bruce Dern) kann man sich schon mehr vorstellen – auch wegen der Präsenz des Schauspielers.
Nun hocken diese acht in dieser Stube beisammen und spielen Katz und Maus. Die Frage ist, wer wen wann abknallen wird – wenn es einem nicht so egal wäre, da keine Figur, nicht einmal die mies-trickreiche Delinquentin, sich nachdrücklich ins Bewußtsein bohrt. Nach und nach wird das Geschehen immer blutiger, was bei diesem Regisseur nicht verwundert, interessanter wird es nie, man hat das lähmende Gefühl, daß absolut nichts weiter geht. Und so gänzlich klärt das Drehbuch nicht, wer da mit wem ein Hühnchen zu rupfen hatte (es hat wohl auch mit dem brutalen Tod des Sohns des Generals zu tun, der in einer Rückblende angedeutet wird), zumal ja von allen Beteiligten offenbar so viel gelogen wird.
Am Ende liest – als einer der wenigen nicht Toten – Major Marquis Warren einen Brief, den Abraham Lincoln an ihn gerichtet hat. Aha. Nein, mit all dem hat Quentin Tarantino viel zu wenig erzählt – und sich außerdem der Hauptsünde eines Regisseurs schuldig gemacht: Er hat das „Du sollst nicht langweilen“ gröblich mißachtet.
 
Sagen wir, daß es noch zwei „Oscar“-Nominierungen gibt, und das sind die einzig verdienten: Kameramann Robert Richardson versuchte, eine in einen einzigen Raum „eingesperrte“ Handlung mit seinen Perspektiven etwas zu beleben. Und wenn dieser Film wirklich als „Western“ betrachtet werden soll, konnte Tarantino keinen besseren Komponisten wählen als Ennio Morricone (von der amerikanischen Kritik der „Mahler der Spaghetti Western“ genannt). Stimmung, die sich zu herrlichem Schwulst aufschwingt, ohne je billig zu werden – das kann keiner besser als er.
Tarantino hingegen kann es besser, er hat es uns oft genug gezeigt.
 
 
Renate Wagner