Christoph Niemanns „Abstract City”

Norddeutsche Notizen

von Andreas Greve

Christoph Niemanns „Abstract City” –
The King of Cool Cartoon in Buch und Museum
 
Norddeutsche Notizen
von Andreas Greve
 
Es ist eher selten, daß ich Freunde und Bekannte in Ausstellungen treibe. Das kann beim Museum für Kunst und Gewerbe allerdings schon mal passieren, denn sehr vieles dort ist sehr sehenswert. Doch diesmal – im Falle von Christoph Niemann – wird wirklich niemand verschont und ich gehe quasi mit seinem Buch „Abstract City – mein Leben unterm Strich“ hausieren. Kaum einer kennt seinen Namen. Bis vor kurzem gehörte auch ich zu diesen Ahnungslosen. Aber Ende letzten Jahres fiel mir unter den preisverdächtigen Arbeiten für den jährlichen Medien-Preis  „Lead Award“ in den Deichtorhallen in Hamburg dieser Niemann ins Auge – ich glaube, es hing dort sein Gummi-Bären-Sucht-Bericht.  Und folglich habe ich bei der Vorankündigung rechtzeitig geschaltet – und war zur Vernissage im MKG  live dabei und konnte mir sogar das Buch signieren lassen.
 
Das Problem ist: Ohne das Buch – oder ohne die 200 Exponate – kann man schwerlich erklären, was der Mann macht und was ihn so besonders macht.  Am einfachsten wäre es, den Urheber selber zu bitten, in einem einzigen Bild darzustellen, worum es geht. Oder es kurz  zu erklären, denn bei der Eröffnungsveranstaltung im Januar zeigte es sich, daß der Künstler auch mit dem gesprochenen Wort sehr leicht, locker und luzil umgehen kann. Um nun einige bereits existierende Schlagworte zur Umschreibung zu  bemühen: Vereinfachung / Pudels Kern / reduce to he max /Zweckentfremdung / Sinnverschiebung / Spiel / Bilder für Worte finden - Worte zu Bildern / Denkbilder (das Wort gibt es doch gar nicht, oder?) / Und jede Menge Spaß.


Greve schaut, Niemann signiert - Foto © Til Mette

Im „Nachwort“ ab Seite 250 erklärt  Niemann das, „was man den kreativen Prozeß nennt“. Und zwar mit Schautafeln und Tortendiagrammen (87%  = Anstrengung / 7,5 % = Glück / 0,5 % = Begabung und Musenküsse / 5 % = 90 min. am Stück die Finger vom Internet lassen). Verzweiflung, Zweifel, Frust und Pein  gehören immanent und permanent dazu. „Mein ganze verdammte Karriere ist eine einzige fette Schreibblockade“ schreibt er dort auf 263, illustriert es auf der nächsten Seite mit einem Diagramm und setzt auf 265 nach: „…daß sich kreative Arbeit anfühlt, als müsse man ein Huhn mit bloßen Händen fangen“ (Man merkt also das Prinzip: Ganz einfache Sachen – wie eine Idee zu bekommen - - erklärt er gerne umständlich).

Elf Jahre lang hat er das Huhn in New York gefangen. Die Zahl seiner Titelbilder für den „New Yorker“ (Foto: Löwenherz) liegt im zweistelligen Bereich. Er hat mit seiner Familie drüben gelebt und die Stadt auch stark durch die Eltern- oder  Kinderbrille betrachtet. Am augenfälligsten ließe sich das an seinen Lego-Bildern zeigen, die es auch schon eine geraume Weile als nettes Pappbilderbuch im Knesebeck Verlag gibt, „I LEGO® New York“: Der Burger aus Lego, Taxis aus Lego, die tote Ratte auf den U-Bahn-Gleisen und sogar die Freiheitsstatue oder die Rushour vorm Holland Tunnel (Foto: Löwenherz) in Manhattan aus Lego.
 

Christoph Niemann, Holland Tunnel - Foto © Löwenherz

Niemann ist morgens in sein Studio gegangen und hat sich auf dem Weg einen Kaffee gekauft und das ganze Thema „Kaffee“ mit eben dem auf Papierservietten gemalt – quasi seine Biographie und seinen Alltag frisch aufgebrüht und neu serviert: In Hamburg angerichtet in einer Vitrine. In der Ausstellung wird viel geschmunzelt und gekichert – das Blättern durch sein neues Buch kann für manchen zwerchfellmäßig sogar anstrengend sein. Vieles hat er ursprünglich für seinen Bloq in der „New York Times“ geschrieben. Dort kann man eben auch animierte Versionen betrachten, wie die oben erwähnten Gummibärchen. http://niemann.blogs.nytimes.com/2014/10/09/the-gummi-bear-chronicles/?_r=0 Und irgendwo dort  steht – endlich! - das treffende Wort: Niemann ist ein „visual columnist“. Ja, verdammt, kürzer hätte selbst ich es nicht sagen können!


Niemanns New Yorker - Foto © Löwenherz
 
„Abstract City“ läuft bis zum 10. April. Der Eintritt von stolzen 12 Euro rechnet sich nicht zuletzt, weil dort im zweiten Stock des Museums für Kunst und Gewerbe direkt am Hauptbahnhof eine weitere interessante (Wander-)Ausstellung wartet: „Geniale Dilletanten“.  Auch und gerade für Menschen wie mich, die in den 80er Jahren nicht in Deutschland waren. Ich zitiere aus dem Pressetext des MKG:
„… frühen 1980er Jahre erlangt eine künstlerische Alternativszene mit lautstarkem Protest und gezielter Provokation international Aufsehen und Anerkennung. Ihre Akteure setzen nicht auf virtuoses Können, sie streben stattdessen nach Selbstorganisation im Sinne des Do-It-Yourself-Gedankens. Den Wunsch nach einem radikalen Bruch untermauern sie mit der Gründung von eigenen Plattenlabels, Magazinen, Galerien und Clubs sowie dem unabhängigen Produzieren von Platten.  Bands wie „Deutsch Amerikanische Freundschaft (D.A.F.)“ oder„Palais Schaumburg“ setzen sich mit deutschen Namen und Songtexten bewußt vom englischsprachigen Mainstream ab. 1981 findet im Berliner Tempodrom ein Festival statt, dessen absichtlich falsch geschriebener Titel zum Synonym für diese Subkultur wird: „Geniale Dilletanten“. Die Ausstellung des Goethe Instituts im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) stellt die Protagonisten und Treffpunkte der künstlerischen Szenen in verschiedenen impulsgebenden Städten West- und Ostdeutschlands vor.
 
Und weil wir gerade bei Pressetexten sind, schließe ich mit den allervorletzten Verlautbarungen zur Elbphilharmonie. Am Mittwoch findet erneut eine Presse-Begehung des großen Konzertsaales statt – diesmal sollen sogar die beiden Star-Architekten Herzog und de Meuron anwesend sein. Ohhhoo!
„Zum Vertragstermin „Fertigstellung der Weißen Haut im Großen Saal“ informieren die Projektpartner über den Stand der Arbeiten: Am 31. Januar 2016 steht bei dem Bau der Elbphilharmonie Hamburg der letzte Zwischentermin vor der Eröffnung an: Hochtief hatte im Rahmen der Neuordnung des Projektes vor rund drei Jahren zu diesem Datum die weitgehende Fertigstellung der Weißen Haut im Großen Saal, dem Herz der Elbphilharmonie, zugesagt. Diese maßgeschneiderte, innovative Wandverkleidung wird im Großen Saal für die optimale Akustik sorgen. „
Mich interessiert dort eigentlich nicht die Weiße Haut, sondern die schwarze: Ob die gläserne Außenhaut des Gebäudes wirklich von Innen für immer mit solchem Klebekram verunstaltet werden soll, der stark an die verdunkelten, schwer durchschaubaren Fensterscheiben von ÖPNV-Bussen erinnert. Ich denke nicht, daß ich Gelegenheit habe werde, diese Frage laut zu stellen. Aber  ein Exklusiv-Foto für die „Norddeutschen Notizen“ wäre ja schon mal was. Ein ungleich schönerer Schluß dieses Artikels wäre allerdings eine Illustration von Christoph Niemann, welche die endlose und quälende Entstehungsgeschichte der Elbphilharmonie – dem mittlerweile zehntteuersten Hochhaus der Welt – in e i n e m Bild zusammenfaßt: Das ganze Elend auf einen Blick.
 

Elbphilharmonie, getrübter Blick - Foto © Andreas Greve
 
Informationen auch hier: www.knesebeck-verlag.de  und hier: www.christophniemann.com/portfolio/

Redaktion: Steffi Engler