Bestsellerfressen

„Sagt mir, wohin ich gehe“ von Herbert Reinecker

von Wolfgang Nitschke

Wolfgang Nitschke - © Manfred Linke / laif
Harry, fahr schon mal den Gaswagen vor!
 
„Sagt mir, wohin ich gehe“
von Herbert Reinecker
 
Liebe Leser!
Unser Komiker Herbert Reinecker, der jahrzehntelang versucht hat, uns mit seinem „Kommissar“ und „Derrick“ mürbe zu machen, erblickte – ähnlich wie 'n anderer Moralist – das Licht der kriminellen Welt am hoch­heiligen Weihnachtsabend im glorreichen Jahre 1914. Nach Adam Riese wäre er heute – 2016 nach Christus – demnach jetzt schlappe 102. Aber er ist 2007 gestorben.
Ja, er ist zu Lebzeiten weit gekommen. Vor allem war er bis 2005, immerhin 91 Jahre alt!, schreibend immer noch zugange! Aber ihn trieb nicht mehr so sehr sein fanatischer Willen zur völligen Ausrottung sämt­licher Münchener Vorortvillenbesitzer, die in ihren sich irgendwie immer sehr ähnelnden Vorortvillen nie anderes veranstalten, als von morgens bis abends zu koksen oder zu haschen, zu zuhältern oder wieder & wieder dieselben Weiber zu betrügen, nein, es trieb ihn nur noch sein Endzeit-G'schwurbel unter dem Titel „Sagt mir, wohin ich gehe“ - föne Fabeln aus der Schlußkurve des Lebens.

Mein lieber Herr Herbert!
So sehr ich es wünschte - aber ich kann es Ihnen nicht mehr sagen, wo Sie hingehen. Vielleicht haben Sie sich ja derweil six feet under simpel und gelassen wieder in den Kreislauf der Natur eingereiht; vielleicht ballern Sie auch die himmlische Besatzung mit neuen diabolischen „Derrick“­-Dialogen in den Wahnsinn; eventuell gingen Sie auch nur dahin, wo der Pfeffer wächst ... keine Ahnung.

Ich kann Ihnen aber sagen, wo Sie herkommen, Herr Kommissar!
Soll ich Ihnen sagen, wo Sie herkommen, Herr Kommissar?
Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen das nämlich sagen.
Ja, ich kann das, Herr Kommissar!
Soll ich, Herr Kommissar?
Also gut,
und zwar ...
Ab 1936 redigierten Sie in Berlin und frühsenilem Sturm und Drang unter der Führung der Reichsjugendführung die Jugendpostille „Jungvolk“. Das ging ’ne Zeit lang gut. Doch dann wurd es noch besser: Im Jahre 1943 erschien – Pimpf, paß auf! – „Der Pimpf“ in der Pimpfenreihe „National­sozialistische Jungenblät­ter“, eine gern- und vielgelesene Pimpfkampf­schrift über die Pimpfausbildung in der Hitlerpimpfjugend, fettgedruckt mit freundlicher Genehmigung im Zentral­verlag der NSDAP, Hauptschriftleiter Riesenpimpfenrottenführer Herbert Reinecker.
Und für Ihre unendlichen Geschichten und Romane zwischen 1940 und kurz vor Tschüß, in denen Sie auf unendlich einfühlsame, ja volksdrama­tische Weise erzäh­len, wie man mit Russen und Juden Dialoge zu führen hat, bis keinem von denen jemals noch was einfallen würde, wurden Sie mehrfach preisgekrönt. Und das wohl zu Recht. Nach damaligem Recht.
Tja, Herr Kommissar, so war das damals.
Andererseits – Schwamm drüber. Lang ist’s her.
Aber wissen Sie, warum das Ausland 60 Jahre danach immer noch so komisch mit uns umgeht und uns immer noch so mißtrauisch, so selt­sam und schräg von allen Seiten belauert? Hm?
Ich kann’s Ihnen sagen, Herr Kommissar!
Soll ich?
Gut, ich sag’s Ihnen, Herr Kommissar.
Im Vertrauen, Herr Kommissar.
Mir könnense ja nix, Herr Kommissar, ich bin unschuldig.
Also. Ich will’s Ihnen sagen, Herr Kommissar.
Und zwar:
wegen: „Derrick“!
Jawoll! Herr Kommissar!
Wegen diesem dääääämlichen Derrick. Die Ausländer gucken nämlich nicht Uli Wickert, sondern Horst Tappert! Ihren Herrn depperten Derrick! Weil Tappert so eine stupend grunztapperte, gedanken-simulierende, teppichfransenkämmende, triefig sentimen­tös-verdruckste und normal-deutsche, eichmannartige Beamtenpfeife ist, dem jeden Augenblick der Satz aus dem Gebiß entweichen könnte: „Harry, fahr schon mal den Gaswagen vor!“
Jawohl, Herr Kommissar.
Und „Der Kommissar“ war jetzt au’ nicht unbedingt das Gelbe vom Ei.
Gute Nacht.

Redaktion: Frank Becker