Baumarktkinder

Eine Lehrstunde

von Eugen Egner

Baumarktkinder

Nachdem ich fast mein halbes Leben im Baumarkt verbracht und bereits zum vierten Mal in Folge den falschen Artikel (Schweineauslauf im Dreivierteltakt statt Schwenkauslauf mit Dreiviertelzollgewinde oder so ähnlich) gekauft hatte, suchte ich um der Abwechslung willen und weil es auf einen Markt mehr oder weniger wirklich nicht mehr ankam, den benachbarten Supermarkt auf.  Prompt traf ich in der Spirituosenabteilung Frau Hübner, die Bundes­beauf­trag­te für Eugenik. Zuletzt hatte ich sie vor einigen Wochen im eingangs erwähnten Baumarkt getroffen, wo sie mehrere Zangen zerdrückt hatte, um mir deren minderwertige Qualität zu demonstrieren. Auch eine Hebebühne oder ein Arbeitsgerüst (ich kann mir da nie den Unterschied merken) hatte sie damals aus demselben Grund durch Auf- und Niederhüpfen zum Einsturz gebracht und zuletzt noch eine Stahltür aus den Angeln gerissen. Frau Hübner im Supermarkt zu begegnen, versprach einiges. Daher fragte ich sie, was es Neues gebe. Indem sie eine Flasche Myers’s Rum auf der Nasen­spitze balancierte, erzählte sie mir, ihre Behörde habe kürzlich zum Wohle der Gesell­schaft be­­schlos­­sen, etwas gegen die “erschreckende Zunah­me auswurfge­zeugter Krea­tu­ren in unserem Land” zu unternehmen. Ängstlich fragte ich mich (und nur mich), ob diese ihre Formulierung wohl politisch korrekt zu nennen sei. Durfte man so etwas sagen? War das nicht im höchsten Maße menschenverachtend und somit einer Bundesbeauftragten für Eugenik unwürdig? Frau Hübner nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche, schraubte dieselbe wieder zu und stellte sie ins Regal zu­rück. Dann fuhr sie fort: „Gleichzeitig soll dem Aussterben der dank Stress und Ver­gif­tung mehrheitlich unfruchtbar gewordenen Deut­schen be­gegnet werden.“ Im Gegensatz zu mir wußte sie sogar, wie: „Aus Hubschrau­bern werden Anleitun­gen zum Bau gelungener Kinder über den Wohn­gebieten abge­wor­fen.“ Während ich grunzend staunte, wandte die Bundesbeauftragte ihre Aufmerksamkeit dem polnischen Wodka der Marke Luksusowa zu. Ich nahm ihr jedoch die Flasche weg und bestand da­rauf, daß sie mir technische Details verriet. Worauf basierten zum Beispiel be­sagte Baupläne? „Grundlage sind die Forschun­gen des Wissenschaftlers Hagen Reck“, sagte Frau Hübner. Den kannte ich natürlich nicht, und sie erklärte mir: „Hagen Reck hat bereits in den 1960er Jahren mit Hilfe seines Märklin- Bauka­stens einen voll funktions­­fähi­gen Sohn zustandegebracht. Wegen der vielen geraden Me­tall­teile, Schrauben und Muttern war damals aber ein gewisses ästhetisches Defizit zu be­klagen, ein Mangel an Natürlichkeit, wenn Sie so wollen. Inzwischen ist es möglich, wesentlich naturgetreuere Mo­delle her­zustellen. Jede(r) kann sich nach unseren leicht ver­ständ­lichen Plänen Kin­der bauen.“  Mich interessierte, woher man denn die Rohstoffe dazu bekäme, und ich erfuhr, das dazu notwendige Material sei in jedem gutsortierten Bau­markt erhältlich. „Baumarkt-Kinder also“, sagte ich altklug. „Jawohl“, bestä­tigte Frau Hübner nicht ohne eine gewisse Anerkennung meiner Wortschöpfung, wie mir scheinen wollte. Inzwischen waren wir weitergegangen und hatten die französischen Rotweine erreicht. Lässig entkorkte Frau Hübner einen Bor­deaux mittlerer Preislage. „Die Bezeichnung ‘Bau­markt-Kinder’ ist noch aus einem weiteren Grunde treffend“, sagte sie zwischen zwei Schlucken, „denn die Bezugs­quelle des Bauma­terials hat offenkundigen Einfluß auf die Wesensart der neu­en Menschen. Sie zeichnen sich allesamt durch einen eklatanten Hang zum ­Sägen und Häm­mern aus. Freiland­versuche mit Prototypen haben gezeigt, daß sie auf den Sargbau spezialisiert sind.” – “Ausgerechnet auf den Sargbau?” – “Wenn ich es Ihnen doch sage. Sarg um Sarg hauen sie zusammen. Wer oder was darin beerdigt werden soll, war allerdings bislang nicht herauszufinden.“ Das war in der Tat hochinteressant. Frau Hüb­ner verbreitete sich dann ausführlich darüber, was beim Bau solcher Kinder unbedingt zu beachten sei. Vor allem anderen sei es ganz besonders wichtig, keinesfalls billige Bauteile wie etwa erschütterungsempfindliche Gehirne aus Fernost zu verwenden: „Denn wenn die sich mit den Hämmern auf die Köppe dreschen, geht leicht mal im Sprach­zentrum was kaputt, zum Beispiel das ‘st’. Statt­des­sen sagen die Kinder dann ‘g’.“ Um das zu demonstrieren, zog sie ein Baumarkt­kind aus der Innen­tasche, haute ihm mit dem Ham­mer auf den Kopf und fragte es dann: „Wenn du mal stirbst, was soll dann mit dir geschehen?“ Das Bau­marktkind erwiderte: „Ich wähle die anonyme Begat­tung.“ „Da“, sagte Frau Hübner, „das ‘st’ ist kaputt.“ „Bei mir ist kein ‘g’ ka­putt“, widersprach das Baumarktkind.

 

     Text © Eugen Egner - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007

      Zeichnung Eugen Egner - © Musenblätter 2007

 

Beispielbild
Eugen Egner - Foto © Frank Becker

Eugen Egner, * 10.10.1951 in Ingelfingen

Dichter phantastischer Prosa (Auswahl: "Androiden auf Milchbasis", "Gift Gottes", "Die Eisenberg-Konstante", "Aus der Welt der Menschen", "Der Universums-Stulp")
Erfinder glaubhafter Biographien ("Die Tagebücher des W.A. Mozart", "Aus dem Tagebuch eines Trinkers")
Hörspiel-Autor (u.a. "Das Schattenfräulein", "Was macht eigentlich Harry Absolut?")
Zeichner (u.a. "Meisterwerke der grauen Periode", "Als die Erlkönige sich Freiheiten herausnahmen", "Gefährliche Gitarristen")
selbst gefährlicher Stromgitarrist