Sekten - nach wie vor aktuell

„Colonia Dignidad“ von Florian Gallenberger

von Renate Wagner

Colonia Dignidad –
Es gibt kein Zurück

(Deutschland 2015)

Drehbuch und Regie: Florian Gallenberger
Mit: Emma Watson, Daniel Brühl, Mikael Nyqvist, Martin Wuttke, August Zirner u.a.
 
Sie wirkt so niedlich, die kleine Lufthansa-Stewardess in Gelb, die plötzlich aus dem Auto ihrer Crew springt, weil sie einen jungen Mann sieht, langhaarig und Reden haltend, mitten in der Menge. Wir sind in Santiago de Chile im Jahr 1963, der junge Deutsche Daniel schwingt Fahnen für den Regierungschef Salvador Allende, und Lena will die Woche, die sie bis zum Rückflug nach Deutschland hat, mit ihrem Liebsten verbringen. Da kommt die Weltgeschichte dazwischen…
 
Wenn der Umsturz kommt, schnell, blutig, die Anhänger des neuen Diktators Pinochet verfolgen brutal alle Freunde des Vorgängers, muß man befürchten, in ein echtes politisches Drama zu geraten, was auf der Kinoleinwand meist eher schwierig zu vermitteln ist. Aber nein – es wird nur die Geschichte „tapfere junge Frau folgt dem Geliebten in die Hölle“. Aber auch das hat es in sich, nicht zuletzt, weil es die gezeigte Hölle wirklich gab.
„Colonia Dignidad“ war eine Sekte, die sich in der chilenischen Einöde zurückgezogen hatte und dort ein scheinbar vorbildliches Leben führte. Doch Paul Schäfer, der deutsche Gründer des Unternehmens, regierte seine Anhänger (viele mißbrauchte Kinder) nicht nur mit eiserner Hand, er stellte auch die unterirdischen Keller seiner Gebäude für die Folterknechte des Regimes zur Verfügung. Dort kann Daniel Brühl als Daniel dann wirklich leiden und Emma Watson als Lena ihn aufspüren und in die Höhle des Löwen gehen. Was schon sehr kinogerecht ist.

Der Deutsche Florian Gallenberger (die stolze Bezeichnung „Oscar“-Preisträger bezieht sich auf einen Kurzfilm 2001) packt das Thema nach vielen Recherchen, wie man hört, gleicherweise kritisch wie effektvoll an. Außer Brühl sind andere deutsche Schauspieler dabei – Martin Wuttke als der äußerlich unkooperative Repräsentant von „Amnesty International“, der nur im geheimen Tips gibt, August Zirner als Vertreter der deutschen Botschaft, die – und das ist angeblich historisch erwiesen – mit der verbrecherischen Sekte zusammen gearbeitet hat.
Daniels chilenische Freunde, die gar nicht bereit sind, sich für ihn einzusetzen, haben gehört, daß er in die „Colonia Dignidad“ verschleppt wurde, und dort steht Lena vor der Tür, angeblich auf der Suche nach Erleuchtung. Und eine so hübsche junge Frau sieht Sektenführer Paul Schäfer (wieder einmal glänzend: Mikael Nyqvist, die Lüsternheit immer unter der postulierten Frömmigkeit durchschimmernd) sehr gerne.
Man lebt nun lange mit Lena in den straflagerartigen Verhältnissen der Sekte, wobei die Britin Richenda Carey als Gisela den klassischen Typ der letztlich sadistischen Lagerwärterin darstellt, Vicky Krieps als ihre Tochter Ursel den klassischen Fall eines Opfers, das sich nicht zu wehren wagt.
Wie Lena nun ihren Daniel findet, der beschlossen hat, nach der Folter den geistig Behinderten zu spielen und daher bei der Arbeit mithelfen darf, ist nicht sonderlich spannend, die Flucht der beiden (zumal im letzten Stadium, rasch noch ins Flugzeug!) nicht wirklich glaubhaft (und straft den Titel „Es gibt kein Zurück“ Lügen!), aber irgendwie ist die Handlung selbst in den Hintergrund getreten: Der Regisseur hat sich in die Schilderung der Zustände in der totalitären Sekte verbissen, und das ist immerhin ein Thema, das – auch wenn es „Colonia Dignidad“ nach der Auflösung in den neunziger Jahren nicht mehr gibt – nach wie vor aktuell ist: Sektenwesen gibt es nach wie vor.

Die hübsche Emma Watson, die sich so klug von ihrer Harry Potter-Jugend wegemanzipiert hat, und Daniel Brühl sind ein Paar, das die „romantische“ Handlung (um es so zu nennen) trägt und die vielleicht mit ihren Namen dafür sorgen, Publikum zu finden. Das Anliegen des Films ist ein anderes.
 
 
Renate Wagner