Gefährlicher Spagat

„Erschütternde Wahrheit“ von Peter Landesman

von Renate Wagner

Erschütternde Wahrheit
(Concussion / USA 2016)

Regie: Peter Landesman
Mit: Will Smith, Alec Baldwin, Albert Brooks, Gugu Mbatha-Raw u.a.
 
Das war einer der Filme, die zum Ärger über die diesjährigen allzu „weißen“, wie es hieß, „Oscars“ beigetragen haben. Einmal spielt Will Smith nicht eine seiner dümmlichen Lustspielrollen, sondern eine höchst anspruchsvolle Partie – einen Wissenschaftler (Neuro-Pathologe) aus Nigeria, der sich in den USA übel als Ausländer diskriminieren lassen muß, als er den Finger auf einen ganz, ganz wunden Punkt legt und sich damit an einem nationalen Heiligtum vergreift, nämlich dem amerikanischen „Football“, dem Nationalsport. Man kann sich vorstellen, wie viel feindlicher Widerstand sich gegen den Afrikaner (Was will der bei uns? Ärger machen?) wendet.
 
Dieser Film ist heikel wie wenige, denn man kann bekanntlich nicht alles haben, und der Spagat gelingt nicht wirklich. Einerseits wird erzählt, wie Dr. Bennet Omalu, der in Pittsburgh die Leichen von Football-Spielern am Seziertisch hatte, zum Mißvergnügen aller bei der NFL, sprich der National Football League, festhält, daß dieser Sport verblödet – genau, daß die vielen Schläge auf den Kopf (Zehntausende!), die ein Football-Spieler in der Regel im Lauf seiner Karriere erhält, zu CTE (Chronisch traumatische Enzephalopathie) führen – sprich: die Folge der Gehirnerschütterungen zeigen sich schon in den mittleren Jahren als Lähmungen, Demenz und Neigung zum Selbstmord.
Das ist eher eine sehr unerwünschte Wahrheit, die Dr. Omalu da präsentiert, „erschütternd“ für diejenigen, für die Football das Geschäft ihres Lebens ist und die solches folglich weder hören noch wahrhaben wollen (im Original heißt der Film schlicht „Concussion“, also „Gehirnerschütterung“). Also besteht der Großteil der Handlung, die Will Smith mit Kraft, ohne Kraftmeierei eindrucksvoll durchsteht, eigentlich aus dem permanenten Widerstand von mächtigen Männern gegen den Doktor, der nach allen Regeln der Kunst diskriminiert, ja bedroht wird, um ihn mundtot zu machen.
 
Zum Glück hat er eine wunderbare Frau an seiner Seite (Gugu Mbatha-Raw) – und zu allem entschlossene Gegner. Denn wenn es Dr. Omalu gelingt, mit seiner These von der Gefährlichkeit von Football ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu gelingen, wo bleibt der Nachwuchs, der sich diesem Risiko aussetzt, wo bleibt der Sport, wo bleibt der Super Bowl und die Millionen und Abermillionen, die sich da in Gang setzen? Das ist als persönliche Geschichte des tapferen Doktors spannend – und als eine der großen Geldmaschinen, die im doppelten Sinn über Leichen geht.
Nun gab es den guten Doktor wirklich, und er eignet sich bestens dazu, eine der üblichen Einzelgänger-Heldengeschichten zu erzählen, wobei sich die Amerikaner letztendlich selbst dafür loben können, daß er schließlich doch Gehör fand (statt daß man ihn tot im Müll gefunden hätte… was auch drin gewesen wäre). Aber der Film von Regisseur Peter Landesman (kein Geringerer als Ridley Scott war einer der Produzenten) stand vor einem anderen Problem: Gerüchte, daß die NFL Druck gemacht hätte, ein positives Ende hinzukriegen, wurden zwar heftig geleugnet – aber dennoch muß der Nationalsport gerettet werden (egal, wie viele Leben er noch zerstören wird – man zahlt halt für Ruhm und Geld…): Darum wirkt der Spagat mit der schönen beschwichtigenden Rede über den wunderbaren „Football“ am Ende doch so gekünstelt und gewollt, daß er die Geschichte fast zerreißt…
An der Leistung von Will Smith, an der klassischen Geschichte des mutigen Mannes, der sich nicht unterkriegen läßt, ändert das nichts.
 
 
Renate Wagner